Wilde Natur am Stettiner Haff

An der Ostseeküste zwischen Polen und Deutschland befindet sich ein ganz besonderes Kleinod. Das Oder Delta beherbergt eine Lebensraumvielfalt, die es so in Mitteleuropa kaum noch gibt. Vielfältigste Lebensräume treffen hier aufeinander: Buchenwälder auf Steilküsten, riesige Flussdeltas, Auwälder, ausgedehnte Moore, trockene Heidelandschaften und großflächige Wälder mit Seen reihen sich wie eine Perlenkette rings um die Wasserflächen des Stettiner Haffs.

Seeadler, Elch, Wolf, Biber und Lachs leben hier. Die Kegelrobbe hat sich seit Beginn dieses Jahrhunderts wieder angesiedelt, und nur 50 km östlich ziehen sogar mehrere Herden des Wisents, der europäischen Schwesterart des amerikanischen Bisons, vollkommen frei durch die Ebenen Westpommerns. Dazu ist das Stettiner Haff ein beliebter Rastplatz für Zugvögel aus dem Norden, die auf dem Ostatlantischen Vogelzugweg, dem "East Atlantic Flyway", zwischen ihren Brutgebieten und Winterquartieren pendeln.

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Die Initiative "Rewilding Oder Delta"

Gleichzeitig bedroht intensive Landnutzung die einmalige Artenvielfalt in der Region. Landbesitzer gehen heute vielfach dazu über, intensiv gedüngte Maisäcker anzulegen, weil Mais infolge der Förderung auch über das reformierte Erneuerbare-Energien-Gesetz 2023 in Deutschland weiterhin zu sehr hohen Preisen absetzbar ist. In großflächigen Niedermoorgebieten werden Windparks geplant, die zum Beispiel Schreiadler, Rotmilan, Seeadler, Schwarzstorch, Wachtelkönig und andere Vogelarten sowie Fledermäuse erheblich gefährden.

Bereits heute ist das Stettiner Haff ein beliebtes Ziel für Ornithologen und Naturfreunde. Naturerlebnisse  eröffnen einer strukturschwachen Region neue Einnahmequellen – besonders, wenn Besucher auf hoch attraktive Tierarten treffen. Die von der DUH und weiteren deutschen und polnischen Partnern ins Leben gerufeneInitiative „Rewilding Oder Delta“ möchte deshalb Naturschutz und Wildnisflächen mit positiven ökonomischen Effekten für die grenzübergreifende Region verbinden.

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Ein Ziel der Initiative ist es, Wildnis mit dem Erhalt halboffener Landschaften zu kombinieren und darauf angewiesene Tier- und Pflanzenarten zu fördern. Große Pflanzenfresser wie Elche, Rothirsche und Wisente sollen dabei helfen. Der Elch ist bereits in Polen und Deutschland ganzjährig geschützt und beim Rothirsch könnte die Einrichtung von Jagdruhezonen helfen, diese Art auch tagaktiv zu erleben. Von der wachsenden wildlebenden Wisent-Population in Westpolen werden in absehbarer Zeit Individuen die Grenze zu Deutschland überqueren; hier sind zusätzlich Maßnahmen besonders zur Verkehrssicherheit und Akzeptanzschaffung in Vorbereitung. Das Konzept der halboffenen Weidelandschaft hat die DUH bereits im Wulfener Bruch an der Elbe und im Einzugsgebiet der Weißen Elster im Südosten Thüringens praktiziert, allerdings meist mit halbwild lebenden Rindern und Pferden. Neu für Mitteleuropa ist es, dieses Konzept auch mit Wildtieren umzusetzen.

Hierzu hat die DUH in einem durch das BfN/BMUV geförderten einjährigen Entwicklungs- und Erprobungsvorhaben gemeinsam mit ihren Partnern vor Ort modellhaft Methoden und Instrumente zur ökonomischen Inwertsetzung von Natur- und insbesondere Wildnisgebieten am Stettiner Haff entwickelt.

Wildnisentwicklung am Stettiner Haff

© Staffan Widstrand / Rewilding Europe

In der durch das BfN/BMUV geförderten Machbarkeitsstudie haben wir im Zeitraum November 2013 – Oktober 2014 sozioökonomische, touristische und naturschutzfachliche Aspekte analysiert, erste geeignete Flächen identifiziert und ein Wertschöpfungsmodell entwickelt.

Ziel der sozioökonomischen Analyse war es, Gemeinden im Untersuchungsgebiet zu identifizieren, in denen eine Kombination aus Wildnisentwicklung und -tourismus die sozioökonomische Entwicklung stärken könnte. Die naturtouristische Analyse erstreckte sich auch auf die polnische Seite des Stettiner Haffs und stellt das gesamte derzeitige touristische Angebots- und Nachfragevolumen dar. Als Hauptzielgruppen wurden identifiziert: Ornithologen, Astronomen und Naturfotografen. Parallel zur sozioökonomischen Prüfung hat die naturschutzfachliche Analyse aufgezeigt, wo Potentialräume für eine Wildnisentwicklung auf Grundlage freiwilliger Vereinbarungen liegen könnten.

Im Rahmen der Überlegungen, wie sich Wildnisentwicklungsgebiete finanzieren lassen, wurde ein Wertschöpfungsmodell entwickelt. Grundgedanke ist es, positive ökonomische Effekte zu erzielen, indem hochwertige saisonunabhängige Naturerlebnisangebote in den bereits bestehenden großflächigen naturnahen Gebieten am Haff entwickelt werden, die eine Kombination aus Naturbeobachtung, hochwertiger Küche sowie einer behaglichen Unterkunft bieten. Diese Angebote sollen von qualifizierten Naturerlebnisführern begleitet werden, sog. „Local Guides“, so dass mit steigenden Gästezahlen das Potential für ein neues Berufsbild und neue Arbeitsplätzen in der Region entsteht und gleichzeitig eine effektive Besucherlenkung gesichert ist. Der Local Guide stellt die Schlüsselfigur dar, er agiert als persönlicher Kontakt in der Landschaft und ist ein wesentlicher Faktor für das Finanzierungsmodell zur Mehrung von Wildnisflächen und für die dauerhafte Erlebbarkeit der wachsenden Naturausstattung des Gebietes.

Voraussetzung für die praktische Umsetzung und den Erfolg des Vorhabens ist die Wahrnehmung der Chance durch die Akteure vor Ort, dass sich Wildnisentwicklung und wirtschaftliche Perspektive für die Region gegenseitig ergänzen können. Eine kontinuierliche Netzwerkbildung und eine Ansprache mithilfe des Konzepts der Landschaftskommunikation, in die Landeigentümer und -nutzer, Jäger und Fischer, Gemeindevertreter, das Land Mecklenburg-Vorpommern und der Landkreis Vorpommern-Greifswald gleichermaßen eingebunden wurden, sowie öffentliche Workshops haben zum Verständnis und zur Akzeptanz erheblich beigetragen.

2015 wurden die Bemühungen der durch die DUH unterstützten Initiative durch die niederländische Stiftung Rewilding Europe gewürdigt, indem sie das Oder Delta als damals achtes Rewilding-Gebiet in Europa anerkannte. Die wachsenden Aktivitäten in der Region führten dann 2019 zur Gründung des selbstständigen Vereins Rewilding Oder Delta e.V.“ , mit dem die DUH über ein Memorandum of Understanding kooperiert.

Kontakt

Copyright: © Steffen Holzmann

Ulrich Stöcker
Teamleiter Wildnis und Naturkapitalungen
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