Lebensmittelverschwendung vermeiden: Schönheitsstandards bei Obst und Gemüse abbauen!

Obst und Gemüse landet in riesigen Mengen im Abfall, wenn es ästhetischen Standards nicht entspricht. Beispielsweise weil Karotten, Blumenkohl oder Äpfel vermeintlich zu klein, zu krumm oder zu unförmig sind. Dieses Vorgehen trägt zur Ressourcenverschwendung bei und verursacht zusätzliche, vermeidbare Klimagasemissionen und muss daher aufhören. Bedenkenlos verzehrbares Obst und Gemüse muss seinen Weg ins Supermarktregal finden.

Wir haben vermutlich alle schon einmal von ihr gehört: Die „Gurkenkrümmungsverordnung“, die korrekt eigentlich Verordnung Nr. 1677/88/EWG zur Festsetzung von Qualitätsnormen für Gurken hieß, galt lange als Sinnbild für eine überbordende europäische Bürokratie und regelte, unter anderem, die zulässigen Krümmungsgrade bei Gurken. Diese Verordnung ist jedoch bereits seit 2009 nicht mehr in Kraft und dennoch: Die Gurken, die wir heute im Supermarkt kaufen, sind noch immer ziemlich gerade. Ähnlich sind z.B. Brokkoli oder Äpfel, die uns in den Regalen begegnen, häufig makellos und alle gleich groß, auch wenn die Verordnung das nicht vorschreibt.

Das liegt nicht etwa daran, dass Obst und Gemüse „perfekt“ wächst, sondern daran, dass Obst und Gemüse, das ästhetischen Standards nicht entspricht, gar nicht in den Handel kommt.

 Die DUH setzt sich dafür ein, dass alle Lebensmittel als solche genutzt werden und unnötige Handelsstandards abgeschafft werden, wenn sie zur Lebensmittelverschwendung oder gar -vernichtung beitragen.

Hohe Schönheitsstandards des Handels sind eine bedeutende Ursache von Lebensmittelverschwendung

Die Abschaffung der Gurkenkrümmungsverordnung und ähnlicher strenger Normen für Obst und Gemüse hat somit nicht dazu beigetragen, die Lebensmittelverschwendung signifikant zu reduzieren. Im Gegenteil: eher hat der Handel die Anforderungen an die Produkte noch gesteigert. Wichtig ist dabei: Es geht bei diesen ästhetischen Standards nicht um eine Sicherstellung der Lebensmittelsicherheit oder um Gesundheitsschutz, welche gesetzlich geregelt sind, sondern um das Aussehen. Also um besonders „schönes“ Obst und Gemüse.
Wenn Landwirt:innen dadurch ihr zu kleines oder zu krummes Obst und Gemüse nicht verkaufen können, führt das zu einer vermeidbaren Lebensmittelverschwendung in der Landwirtschaft. Die Ursache der Verschwendung liegt aber bei denjenigen, die ästhetische Standards einfordern: Einzelhandelsunternehmen und anderen mächtigen Playern im Handel. Oft ist es uns nicht bewusst, doch auch wir Verbraucher:innen können etwas tun, wenn wir nicht immer nur „perfekt“ aussehendes Obst und Gemüse wünschen und kaufen.

Lebensmittelverschwendung belastet die Umwelt und ist ethisch bedenklich

Was passiert aber mit Obst und Gemüse, das nicht „perfekt“ aussieht? Wenn die Landwirt:innen keine alternativen Vermarktungswege, zum Beispiel eine Direktvermarktung ab Hof oder eine Weiterverarbeitung, beispielsweise zu Marmelade, finden, bleibt Obst und Gemüse vielerorts einfach auf dem Feld liegen und wird wieder untergepflügt. Oder es wird anders verwendet als für die eigentlich vorgesehene menschliche Ernährung – beispielsweise als Tierfutter, Dünger oder Biogas. Und letztendlich wird Obst und Gemüse auch weggeworfen, zum Beispiel weil es kurz vor dem Verkauf den Anforderungen nicht mehr genügt. Eine unglaubliche Ressourcenverschwendung und damit eine Belastung für Grundwasser, Böden und Artenvielfalt.

Nicht zuletzt sind diese Schönheitsnormen problematisch für die Landwirt:innen und deren Einkommen. Denn entweder können sie ihre Erzeugnisse gar nicht absetzen oder sie erhalten einen geringeren Preis, beispielsweise, wenn Obst und Gemüse industriell weiterverarbeitet oder zu Tierfutter wird.

Schönheitsnormen und die Art der Vermarktung führen insgesamt dazu, dass mehr Dünge- und Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden. Beispielsweise werden Brokkoli oder Kohlrabi häufig mit Blattgrün verkauft. Dafür sollen Blätter grün und frisch aussehen. Um diese grüne (Blatt-)Qualität zu erreichen, muss oftmals kurz vor der Ernte intensiv gedüngt werden – wobei allerdings Böden und Gewässer stark belastet werden. Im Supermarktregal dann entzieht genau dieses Blattgrün dem Gemüse mehr Wasser als es ohne Blätter verlieren würde, so dass sich die Haltbarkeit verkürzt.

Die inneren Werte zählen: Strategien gegen Lebensmittelverschwendung aufgrund von Schönheitsstandards

Der Abbau von Schönheitsanforderungen ist ein wichtiger Hebel, um Lebensmittelverschwendung und Ressourcenverbrauch zu reduzieren. Dazu sind alle Akteur:innen gefordert.

Allen voran ist der Lebensmitteleinzelhandel aufgefordert: Denn insbesondere die großen Supermarktkonzerne sind es, die die Anforderungen gegenüber Lieferant:innen formulieren und damit entscheiden, ob Millionen Tonnen Lebensmittel mit rein kosmetischen Abweichungen im Supermarktregal oder in der Lebensmittelvernichtung landen oder ob für Obst und Gemüse zusätzliche Dünge- und Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden müssen. Die DUH ruft Supermärkte dazu auf, rein ästhetische Standards abzubauen. Beispielsweise würde die Umstellung von Stückpreisen auf Gewichtspreise dazu führen, dass auch das Gemüse, das etwas kleiner gewachsen ist, selbstverständlich verkauft werden kann. Der Verzicht auf die Vermarktung mit Blatt oder Laub bringt auch Gemüse mit gelben Blättern, die ohnehin nicht gegessen werden, in die Regale – und kann entscheidend dazu beitragen, den Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren. Die Ausweitung des Angebots der Handelsklasse II sowie ohne Angabe von Handelsklassen, bringt Obst und Gemüse in die Regale, das vielleicht nicht das „Schönste“, aber genauso lecker und gesund ist.

Verbraucher:innen können durch ihre Kaufentscheidungen natürlich auch ein Zeichen setzen und signalisieren, dass Äußerlichkeiten nicht entscheidend sind. Wenn wir als Verbraucher:innen gezielt Obst und Gemüse der sogenannten „Handelsklasse II“ oder ohne Handelsklasse nachfragen und Gemüse ohne Blattgrün kaufen, signalisieren wir den Supermärkten, dass ihre Normen nicht mehr so „vernichtend“ sein müssen. Ansonsten ist der Einkauf auf Wochenmärkten, an Marktständen oder direkt auf dem Hof eine gute Möglichkeit, auch eine krumme Gurke einkaufen zu können. Zudem gibt es Initiativen, wie beispielsweise Querfeld, über die sich Verbraucher:innen krummes Obst und Gemüse liefern lassen können.

Forderungen der DUH auf einen Blick

Um das Ziel einer Reduzierung der Lebensmittelverschwendung zu erreichen, fordert die DUH:

  • Der Lebensmitteleinzelhandel muss seine Vermarktungspraktiken ändern, um Lebensmittelverschwendung zu reduzieren. Darunter fallen u.a.

    • Ästhetische Standards abbauen
    • Das Angebot in der Handelsklasse II ausweiten und Obst und Gemüse ohne Angabe von Handelsklassen verkaufen
    • Die Spielräume der Vermarktungsnormen ausschöpfen, bspw. durch den Verzicht auf die Vermarktung mit Blattgrün und Laub
    • Produkte mit unterschiedlichem Gewicht und unterschiedlicher Größe anbieten und diese nach Gewicht statt Stück verkaufen
    • Anreize für den Kauf von Obst und Gemüse mit „Schönheitsfehlern“ für Verbraucher:innen schaffen und Verbraucher:innen am point of sale aufklären

  • Das Bundeslandwirtschaftsministerium muss die Datenlage über Vorernte- und Ernteverluste verbessern und sowohl die Lebensmittelverschwendung auf dem Acker in die offiziellen Statistiken einbeziehen als auch erfassen, wie hoch die Lebensmittelverschwendung aufgrund unnötiger „Schönheitsnormen“ ist
  • Die Politik muss Rahmenbedingungen schaffen, die es erlauben, bestehende kosmetische Standards so zu überarbeiten oder ganz abzuschaffen, dass sie nicht zur Verschwendung von Lebensmitteln oder übermäßigen Ressourcenverbrauch führen. In der öffentlichen Versorgung kann sie beispielsweise gezielt auf Obst und Gemüse zurückgreifen, das nicht den gängigen Anforderungen entspricht
  • Die Rechte der Produzent:innen in der Wertschöpfungskette müssen gesetzlich gestärkt werden, beispielsweise durch eine Überarbeitung des Agrarorganisationen-und-Lieferketten-Gesetzes, so dass sie auch Produkte mit kosmetischen „Makeln“ absetzen können

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Dieses Projekt wird gefördert durch das Umweltbundesamt und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz. Die Mittelbereitstellung erfolgt auf Beschluss des Deutschen Bundestages.

Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autorinnen und Autoren.

Herr Cem Özdemir, handeln Sie jetzt und packen Sie die Lebensmittelverschwendung bei der Wurzel!

Kontakt

Copyright: © © Benning

Reinhild Benning
Senior Beraterin für Agrarpolitik
E-Mail: Mail schreiben

Dr. Christiane Barnickel
Referentin für Naturschutz & biologische Vielfalt
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