pageBG

Wenn Essen krank macht

In der industriellen Massentierhaltung kommen regelmäßig Antibiotika zum Einsatz. So erhalten 9 von 10 Hähnchen und Puten während der Mast Antibiotika, oftmals sogar mehrere Wirkstoffe. Wie auch im Menschen, bilden Keime in Tieren teils Resistenzen gegen die Antibiotika – je häufiger Antibiotika eingesetzt werden, desto wahrscheinlicher treten Resistenzen auf. Über den Fleischkonsum können die Antibiotikaresistenzen an uns Menschen weitergegeben werden. Der massive Einsatz vor allem der sogenannten Reserveantibiotika stellt daher ein großes Gesundheitsrisiko dar – für die Tiere, aber erst recht für uns Menschen.

Reserveantibiotika werden bei kranken Menschen eingesetzt, die an Infektionen mit resistenten Keimen leiden, gegen die herkömmliche Antibiotika nicht mehr wirken. Ohne wirksame Reserveantibiotika ist die Stabilität unseres Gesundheitssystems bedroht, ähnlich wie kürzlich beim Ausbruch der Covid 19-Pandemie. 2015 wurde deshalb eine Reduktionsstrategie für den Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung beschlossen. Gelöst hat sie das Problem bislang nicht. Seit 2014 stagniert der Antibiotikaeinsatz bei Masthühnern und Puten auf sehr hohem Niveau. Rund 40 Prozent der Antibiotika in der Geflügelmast sind Reserveantibiotika. Kein Wunder also, dass 35 Prozent des Hähnchenfleisches in Discountern mit gefährlichen Antibiotikaresistenzen gegen Reserveantibiotika kontaminiert sind.

Antibiotikaeinsatz im großen Stil

Der Antibiotikaverbrauch in Deutschland ist erschreckend hoch – 88 Milligramm Antibiotika je Kilogramm Fleisch werden durchschnittlich eingesetzt. Tierärzte in Dänemark kommen z.B. mit nur 38 Milligramm Antibiotika je Kilogramm aus. An den Verbrauchsdaten für Antibiotika in der Massentierhaltung seit 2011 sieht man, dass die Reduktionsstrategie der Bundesregierung gescheitert ist: In den ersten Jahren seit 2011 gab es zwar eine Reduktion nach verbrauchten Tonnen Antibiotika – die ist aber hauptsächlich auf die Wirkstoffverschiebung hin zu sogenannten Reserveantibiotika zurückzuführen, die weniger Gewicht auf die Waage bringen, aber mit besonderen Risiken für die menschliche Gesundheit einhergehen.

Lebenswichtige Reserveantibiotika werden verschleudert

Es gibt fünf Wirkstoffklassen von Reserveantibiotika, die in der Humanmedizin als letztes Mittel eingesetzt werden, wenn Keime gegen die „Standard“-Antibiotika bereits Resistenzen gebildet haben. Wenn über den Verzehr tierischer Produkte also Antibiotikaresistenzen in den menschlichen Körper gelangen, kann eine eigentlich einfach zu behandelnde bakterielle Infektion für Betroffene tödlich enden. In Europa sterben jährlich über 33.000 Menschen an Infektionen, weil Antibiotika nicht mehr wirken.

Mit einer 2018 erlassenen Verordnung für Tierärzte konnte der Verbrauch an Reserveantibiotika bei 3 von 5 Wirkstoffklassen der Reserveantibiotika reduziert werden. Doch die für kranke Menschen immer wichtiger werdenden Notfallantibiotika Colistin und Makrolide wurden nicht reguliert. Der Verbrauch an Makroliden stieg von 2016 bis 2019 um 2 Tonnen an. Colistin wird insbesondere in der tierschutzwidrigen Mast von Hähnchen und Puten eingesetzt, teils deutlich mehr als medizinisch vorgesehen. Längst hätte aus Sicht der DUH ein gesetzliches Verbot gegen Colistin erfolgen müssen, um dem Missbrauch den Riegel vorzuschieben.

Die industrielle Massentierhaltung ist das Problem

© orestligetka / Adobe Stock

Laut einer Evaluierung des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL 2019) werden in großen Tierbeständen deutlich häufiger Antibiotika eingesetzt als in kleinen und mittleren. Genau diese Megamastanlagen werden jedoch massenhaft gebaut in Deutschland, zum Schaden von Gesundheit und Klima. Zugleich zeigte der Bericht, dass der Antibiotikaverbrauch nur sehr lückenhaft erfasst wird. Antibiotika, die an Mastschweine verabreicht werden, wurden teils dokumentiert als Antibiotikagabe an Sauen, also Muttertiere, denn diese werden gar nicht erfasst. So verschwinden Antibiotika auf dem Papier, landen aber dennoch in den Tieren und in der Umwelt. Jeder Antibiotikaeinsatz ruft Resistenzen hervor, die mit der Gülle und Abluft aus den Ställen und schließlich auf Feldern und in Gewässern gelangen und sich ausbreiten können.

Der Hauptgrund für das Versagen der Antibiotikareduktion dieser Bundesregierung ist, dass sich am Tierleid in den Ställen nichts geändert hat. Tierschutzgesetze wurden seit Jahren nicht verbessert. Die reformierte Gruppenhaltung von Sauen wird erst in vielen Jahren wirksam. Das System der industriellen Massentierhaltung verursacht enormes Tierleid und damit auch Tierkrankheiten. Viele Tiere erreichen nur mit massivem Antibiotikaeinsatz lebend den Schlachthof. Wartezeiten zwischen Colistin-Einsatz und Schlachtung der Tiere gibt es nicht. Ausnahme ist der Ökolandbau, denn hier ist der Antibiotikaeinsatz pro Tier streng limitiert. Ökotiere und Ökofleisch sind erheblich geringer mit resistenten Erregern belastet.

Auch die Hochleistungszucht der Tiere trägt zum überhohen Antibiotikaverbrauch bei diesen Tieren bei. So erhalten 8 von 10 Milchkühen mindestens einmal jährlich Antibiotika, oft sogar Reserveantibiotika. Sie sind auf eine extrem hohe Milchleistung gezüchtet, die ihre Körper systematisch an den Rand der Überforderung treibt. Schmerzhafte Euterentzündungen sind die Folge – und Antibiotika als Routinemaßnahme. Die Folge: Milch, die vor der Verarbeitung in der Molkerei getestet wurde, enthält in 10 Prozent Antibiotikaresistenzen.

Die Alternative zu Antibiotika im Stall ist eine tierfreundlichere, artgerechtere Haltung, Zucht und Fütterung. Bisher aber sind krankmachende Haltungen, Qualzucht und nicht-artgerechte Fütterung im Rahmen der geltenden Gesetze erlaubt. Antibiotika sind so billig, dass ihr massenhafter Einsatz kostengünstiger ist als der Umbau der Tierhaltung hin zu mehr Tierwohl.

Die Deutsche Umwelthilfe fordert deswegen:

  • den Erlass von Regeln im Tierarzneimittelgesetz und im Tierschutzgesetz, die Antibiotika in Tierhaltung von der Regel zur Ausnahme werden lassen,
  • die Verbesserung von Tierschutzgesetzen, sodass Tier- und Umweltschutz gleichermaßen gesichert werden,
  • eine Pflicht zum Erregertest bei jedem Antibiotikaeinsatz,
  • eine lückenlose Dokumentation jedes Antibiotikaeinsatzes bei allen Tieren in Dosis je Tiergewicht und

  • ein Verbot von Reserveantibiotika in der Massentierhaltung in Deutschland. Die Bundesregierung muss sich darüber hinaus für ein EU-weites Verbot einsetzen.

Die DUH wirft der Bundesregierung und auch der EU-Kommission vor, mit ihren bisherigen Plänen für Reserveantibiotika den Profit der Fleischindustrie über den Schutz der menschlichen Gesundheit zu stellen. Das deutsche Tierarzneimittelgesetz wäre ein geeignetes Instrument für den Gesundheitsschutz, allerdings muss es dazu massiv nachgebessert werden.

Antworten auf häufige Fragen

Gesunde Tiere brauchen keine Antibiotika. In der industriellen Tierhaltung werden die Tiere auf extrem hohe tägliche Gewichtszunahmen und Milchmengen hin gezüchtet. Das ist vergleichbar mit täglichem Hochleistungssport. Zugleich werden etwa die Turbo-Hähnchen mit bis zu 23 Tieren auf einem Quadratmeter gehalten – die Fläche einer Duschwanne. Die drängende, unausweichliche Enge in Ställen mit regelmäßig 40.000 Masthühnern oder mehr erzeugt großen Stress für die Tiere. Wird eines krank, haben Krankheitserreger optimale Bedingungen, auch auf andere Tiere übertragen zu werden und in den riesigen Tierherden zu mutieren. Manche befürchten eine nächste Pandemie mit antibiotikaresistenten Super-Erregern aus solchen industriellen Tierhaltungen.

Werden in einer Tierfabrik mit z.B. zehntausenden Schweinen oder hundertausenden Hähnchen Antibiotika verabreicht, haben genau die Keime beste Überlebenschancen, die Resistenzen gegen die Antibiotika entwickeln. Jeder Antibiotikaeinsatz ruft Resistenzen hervor. Die Masse des Einsatzes in der Fleisch- und Milchwirtschaft und die riesigen Tierbestände in einem Betrieb verschärfen das Problem.

Limits für Antibiotika bei Tieren gibt es nur im Ökolandbau. Für Tierfabriken in Deutschland gibt es keine Obergrenze und kein klares Reduktionsziel. Antibiotikaresistente Erreger können mit der Gülle und der Abluft aus den Ställen in die Umwelt, auf Felder und in Gewässer gelangen und sich ausbreiten. So werden auch auf Gemüse- und Getreidefeldern, manchmal auch an Badestellen antibiotikaresistente Erreger gefunden.

Menschen können sich resistente Keime im direkten Umgang mit den Tieren einfangen. So sind über 80 Prozent der Schweinehalterinnen und Schweinehalter Träger von Antibiotikaresistenzen. Auch Tierärzte und Schlachthofmitarbeitende sind stärker belastet. In Regionen mit viel Massentierhaltung weisen bis zu 30 Prozent der allgemeinen Bevölkerung Resistenzen auf, die aus Tierhaltungen stammen.

Die Weltgesundheitsorganisation spricht daher von „One Health“: Es gibt nur eine Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt. Werden Antibiotika an einer Stelle eingesetzt, sind die anderen Bereiche auch immer mitbetroffen. Wenn wir es schaffen Antibiotikamissbrauch bei Tieren zu stoppen, ist auch der Gesundheit von Mensch und Umwelt geholfen.

Während in Deutschland rechnerisch 88 Miligramm Antibiotika je Kilogramm Tiergewicht verbraucht werden, kommen Tierärzte in Nachbarländern teils mit weniger oder deutlich weniger Antibiotika aus. Dänemark etwa hat strengere Regulierungen gegen Antibiotikamissbrauch im Stall. Dort gibt es eine Ampel mit behördlichen Sanktionen gegen Betriebe mit zu hohem Verbrauch bei „nur“ 38 mg Antibiotika je kg Fleisch – trotz umfangreicher Schweinehaltung.

In den USA sind Reserveantibiotika aus der Klasse der Flourchinolone für Geflügel nicht mehr zugelassen. In der Folge sind auch die Resistenzraten beim Geflügel auf ca. 5 Prozent gesunken. In Deutschland liegen die Resistenzraten dagegen bei teils über 50 Prozent. Die DUH fordert auch in Deutschland die für Menschen wichtigsten Humanantibiotika aus der Massentierhaltung zu verbannen.

Seit 2016 stagniert der Antibiotikaverbrauch bzw. er sinkt nur noch in etwa dem Umfang in dem die Fleischproduktion sinkt (2016-2019). Beim Verbrauch der Reserveantibiotika zählt Deutschland noch immer zu den Vielverbrauchern an Antibiotika für Lebensmittel liefernde Tiere im Vergleich der Europäischen Staaten. 

Die vom Bundesamt für Verbraucherschutz (BVL) veröffentlichten Daten zu Antibiotikaresistenzen in der Lebensmittelkette und auch Stichproben von Verbraucherschutzorganisationen zeigen, dass allen Fleischindustrien voran die Geflügelfleischindustrie antibiotikaresistente Krankheitserreger auf rund jedem zweiten Hähnchenfleischprodukt in unsere Lebensmittelkette einschleppt. Das stellt ein großes Gesundheitsrisiko für die Bevölkerung dar.

So fordert sogar die dem BMEL unterstellte Behörde für Verbraucherschutz (BVL) Reduktionsmaßnahmen bei Reserveantibiotika wie Flourchinolonen: „Die hohen Resistenzraten von zum Teil über 50 Prozent der Bakterien-Isolate von Masthähnchen und Mastputen gegenüber Fluorchinolonen verdeutlichen, dass insbesondere der Einsatz dieser Antibiotikaklasse beim Geflügel reduziert werden muss, da sie als besonders wichtig für die antibiotische Behandlung beim Menschen gilt.“

Nein. Nach den EU-Ökoregeln darf ein Tier, das ein Jahr lang oder kürzer gemästet wird, allerhöchstens ein Mal im Leben Antibiotika erhalten. Zum Vergleich: Eine konventionelle Mastpute erhält bis zu 8 verschiedene Wirkstoffe. Die Ökolandbauverbände in Deutschland verzichten zudem teils auf Reserveantibiotika. Entsprechend geringer ist Ökofleisch kontaminiert mit resistenten Erregern.
Dazu das BVL 2019: „Die Ergebnisse der Antibiotikaresistenzuntersuchungen zeigen, dass die Resistenzraten in den Lebensmittelketten Masthähnchen und Mastpute unter den Nutztieren am höchsten sind, was den im Vergleich zu Rindern und Schweinen häufigeren Einsatz von Antibiotika bei dieser Tiergruppe widerspiegelt. Auffallend ist, dass E.-coli-Isolate aus ökologischen Mastputenbetrieben und aus ökologisch erzeugtem Putenfleisch insgesamt deutlich niedrigere Resistenzraten aufwiesen als die entsprechenden Isolate aus der konventionellen Produktion. Außerdem traten bei Isolaten aus der ökologischen Produktion seltener Multiresistenzen gegen drei oder mehr Substanzklassen auf als bei Isolaten aus Mastputenbetrieben und Putenfleisch der konventionellen Produktionsform (17,7 % vs. 42,9 %)."

Wir müssen politischen Druck machen, damit die Politik endlich handelt! Unterstützen Sie unsere Arbeit für mehr Tierschutz im Stall und gegen Antibiotikamissbrauch.

Durch unseren bewussten Konsum können wir bereits jetzt einen Unterschied machen:

  • weniger tierische Produkte, schon gar nicht aus Massentierhaltung.
  • Da im Ökolandbau strenge Regeln zur Kontrolle des Antibiotikaeinsatzes gelten, sind die Risiken, über die Nahrung Antibiotikaresistenzen aufzunehmen, bei Biofleisch i.d.R. geringer.
  • Kontaktieren Sie den Kundenservice Ihres Einkaufsgeschäfts – je mehr Anfragen dort ankommen, desto eher werden die Unternehmen auch freiwillig Maßnahmen gegen den flächendeckenden Antibiotikaeinsatz vornehmen.
Copyright Navigationsbild: Thorsten Schier - Fotolia
Teilen auf:

Cookie Einstellungen

Diese Webseite verwendet Cookies und ähnliche Technologien, um die Bedienung der Webseite zu erleichtern und eine persönlichere Ansprache zu ermöglichen – auch außerhalb unserer Webseiten. Auch können wir so auswerten, wie unsere Nutzer unsere Seiten verwenden, um unsere Seiten so weiterentwickeln zu können. Weitere Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Essentiell

Externe Inhalte

Engagement

Statistik

Verwendung von Cookies

Diese Webseite verwendet Cookies und ähnliche Technologien (im Folgenden „Technologien“), die es uns beispielsweise ermöglichen, die Häufigkeit der Besuche auf unseren Internetseiten und die Anzahl der Besucher zu ermitteln, unsere Angebote so zu gestalten, dass sie möglichst bequem und effizient sind, unsere Marketingmaßnahmen zu unterstützen und externe Medien einzubinden. Diese Technologien können Datenübertragungen an Drittanbieter beinhalten, die in Ländern ohne angemessenes Datenschutzniveau (z. B. Vereinigte Staaten ) ansässig sind. Weitere Informationen, auch über die Verarbeitung von Daten durch Drittanbieter und die Möglichkeit, Ihre Einwilligung jederzeit zu widerrufen, finden Sie in Ihren Einstellungen unter „Einstellungen“ und unter folgenden Links:

Impressum Datenschutz