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Unser Kapital ist die Natur

Donnerstag, 10.10.2019

In der Debatte um den Schutz der Biodiversität hat sich der Begriff „Ökosystemleistungen“ etabliert. Was verbirgt sich dahinter und hilft dieses Konzept tatsächlich dem Naturschutz? Die Deutsche Umwelthilfe macht sich die Argumente in ihrer naturschutzpolitischen Arbeit zunutze.

© Marek Brandt
Wanderweg im Herbst

Der Artikel erschien in der DUHwelt 3/19.

In Wald und Wiese fallen Alltagssorgen von uns ab, wir kommen zur Ruhe oder entspannen aktiv beim Radfahren, Paddeln oder sonstigem Sport. Wirtschaftlich betrachtet, nutzen wir in diesen Momenten eine Ökosystemleistung: Die Natur bietet Erholungsräume an. Der Mensch profitiert von einem Mix an Ökosystemleistungen: Wälder binden CO2, Insekten bestäuben Kulturpflanzen, Flüsse liefern Kühlwasser für Industrien.

Einzelnutzen versus Gesamtnutzen

Luft, Wasser und andere Naturleistungen sind weitgehend frei und scheinbar unbegrenzt verfügbar; meist gelten sie als öffentliche Güter. Das macht sie verletzlich: Vielerorts wird das Naturkapital ausgebeutet, wobei Einzelinteressen oftmals dem gesamtgesellschaftlichen Interesse entgegenstehen. So kann der fruchtbare Boden einer eingedeichten ehemaligen Flussaue einem Landwirt einen guten, ertragsstarken Ackerstandort liefern. Bei einer Nutzung als extensive Weide würde er betriebswirtschaftliche Einbußen erleiden. Doch für die Gesellschaft wäre der volkswirtschaftliche Nutzen aus der Ökosystemleistung dieser Fläche ungleich höher. Denn: Öffnet man den Deich und gibt das Weideland als temporäre Überschwemmungsfläche frei, steht die Aue bereit, um Hochwasser aufzunehmen und Schadstoffe zu filtern. Zudem bildet sich ein Erlebniswert, wenn Wiesenbrüter und Weidetiere zur Beobachtung einladen.

Globale Verantwortung

Ganz offensichtlich beeinträchtigt unser globalisierter Konsum auch das Naturkapital ferner Länder. Torf, Shrimps, Palmöl und Soja sind dafür Beispiele. Der Global Nature Fund, der Hand in Hand-Fonds und die DUH sehen hier eine Verantwortung entlang der gesamten Lieferketten. Sie entwickeln Lösungen für das Wiederherstellen oder den Erhalt von Ökosystemen dank nachhaltiger Nutzungen. Ein Beispiel dafür ist die DUH-Kampagne „Kein Palmöl in den Tank“, die darauf abzielt, dass für die Palmölproduktion keine Wälder gerodet werden und die Beimischung von Palmöl zu Kraftstoffen in Deutschland und der EU schnellstmöglich endet.

Gute Argumente für den Naturschutz

Intakte Ökosysteme sind wertvoll. Sie bilden das Fundament für das menschliche Leben und Wirtschaften. Die Frage, ob man die Produktivität der Naturprozesse und -funktionen bewerten oder sogar quantifizieren kann, liegt nahe. Um dies zu erforschen, initiierten Deutschland und die EU-Kommission gemeinsam die Studie zur Ökonomie von Ökosystemen und der Biodiversität (The Economics of Ecosystems and Biodiversity, kurz: TEEB). Ihre Berichte veröffentlichte die internationale Forschungsgruppe in den Jahren 2008 und 2011. Dank der TEEB-Studie findet der Zusammenhang von Biodiversitätsschutz und Ökonomie mehr und mehr Beachtung. Aus Sicht der DUH kann das Konzept der Ökosystemleistungen dem Naturschutz hilfreiche Argumente liefern. Es stellt komplexe Zusammenhänge dar und führt hin zu Kosten-Nutzen-Abwägungen. Den Wert der Natur in ökonomischen Kategorien auszudrücken, kann jedoch zu Recht befremden. Denn schließlich lässt sich die emotionale, spirituelle oder ästhetische Dimension der Natur nicht in solche Kategorien fassen. Die DUH fordert eine gesellschaftliche Debatte, in der die ökologischen und ethischen Argumente um ökonomische ergänzt werden.

Die DUH regt einen fachlichen Austausch an

Die DUH lädt Akteurinnen und Akteure aus Wirtschaft, Politik und Praxis zu einer Veranstaltungsreihe ein, um Chancen und Risiken des Ökosystemleistungsansatzes und der Inwertsetzung von Natur zu diskutieren. Das Ziel ist mehr Klarheit darüber, wo die ökonomische Bewertung von Natur, der Ökosysteme und ihrer Leistungen sinnvoll ist und wo sie an Grenzen stößt oder sogar kontraproduktiv wirken würde. 
Sanfte Regionalentwicklung dank Naturtourismus In ihrem Programm „Rewilding Oder Delta“ begleitet die DUH Renaturierungen von Mooren und Überschwemmungsflächen. So kehren deren Ökosystemleistungen wie CO2- und Hochwasserspeicherung zurück. Auch in anderen ländlichen und wirtschaftlich schwachen Regionen des Ostseeraumes schlummert Potenzial:Die Landschaften bieten großartige Chancen für eine nachhaltige Wertschöpfung in Form eines sanften Naturtourismus. Daher unterstützt die DUH in einem grenzübergreifenden Netzwerk die Weiterbildung zu sogenannten Nature Guides. Neben Hintergrundwissen und praktischen Erfahrungen verfügen Nature Guides über didaktisch-methodische Fähigkeiten, um ihre Gäste auf eine inspirierende Tour mitzunehmen. Sie kreieren einzigartige Erlebnisse, vielleicht die Sicht auf Biberburgen vom Kanu aus oder die Suche nach Trittsiegeln von Wölfen. So sensibilisieren sie ihre Gäste für die Eigenheiten von Natur und Kultur. Das Netzwerk, in dem die DUH mit Partnern aus Deutschland, Litauen und Polen zusammenwirkt, will ein international anerkanntes Berufsbild „Nature Guide“ entwickeln – als Zertifikatslehrgang mit entsprechenden Qualitätsmaßnahmen und Richtwerten. Das Weiterbildungsprogramm richtet sich an Personen mit Vorwissen oder -erfahrung, insbesondere an zertifizierte Natur- und Landschaftsführerinnen und -führer (ZNL). Es zielt darauf ab, Nature Guides den Weg zu einem ausreichenden Einkommen zu ebnen.

AgoraNatura: In Ökosystemleistungen investieren

Ob Prävention oder Reparatur – bislang stehen dem Naturschutz vorwiegend öffentliche Gelder zur Verfügung. Diese reichen jedoch nicht aus. Vereinzelt gibt es Modelle für eine andere, zusätzliche Finanzierung: Als Naturschutzinvestorin oder -investor kann man beispielsweise den Schutz des Freisinger Moos (Bayern), einer ehemaligen Moorlandschaft, vorantreiben. Dank Wiedervernässung kehrt hier ein ganzer Katalog an Ökosystemleistungen zurück: Das Moor speichert wieder CO2, es filtert Wasser und wird zur Heimat seltener Tier- und Pflanzenarten. In solchen Landschaften ist eine behutsame Beweidung sinnvoll, damit sich Schilf und Neophyten nicht ungebremst ausbreiten. Daher will ein lokaler Naturschutzverein die Fläche mit Wasserbüffeln beweiden. Aufgrund des geringen Fleischertrags ist die Haltung jedoch unrentabel. Deshalb sucht der Verein Investoren, die die Naturleistungen der Moorweide honorieren und dafür sorgen, dass die Rechnung aufgeht – für die Natur, die Gesellschaft und den Landwirt. Ökosystemleistungen als „Erntegut“ in die Fläche zu bringen, ist Ziel des Gemeinschaftsprojekts AgoraNatura. Partner aus Wissenschaft und Naturschutz, darunter die DUH, wollen Privatleute und Unternehmen dafür gewinnen, in Artenvielfalt und Naturleistungen zu investieren. Dafür richtet das Projektteam einen deutschlandweiten Online-Marktplatz ein. Angeboten werden dort ausschließlich qualitätsgeprüfte Maßnahmen. Anfang 2020 wird die Plattform online gehen und dann Naturschutzakteure – das können Landschaftspflegeverbände, Umweltvereine oder Landwirte sein – mit Naturschutzinvestoren zusammenbringen.

Die DUH bleibt am Thema dran

Auf vielen Feldern arbeitet die DUH daran, eine Wirtschaftsweise auf den Weg zu bringen, die Ökosystemleistungen sichert oder wiederherstellt. In einem neuen Projekt wird sich das DUH-Team der Frage widmen, inwieweit der Schutz von Wildtieren ökonomisch entwickelt werden kann, zum Beispiel als touristische Attraktion. Um Flussauen geht es in einem anderen jüngst angelaufenen Projekt im Osten Thüringens. Dort kooperieren die DUH, die Natura2000Station Osterland, landwirtschaftliche Betriebe und Behörden, um Landwirtschaft mit Gewässer-, Hochwasser- und Naturschutz zu verbinden. Ob in ländlichen oder in urbanen Räumen, im Wasser oder an Land – der Mensch spielt mit seinen Eingriffen eine zentrale Rolle für das Naturkapital. Das zeigt sich besonders gut am Beispiel der Landwirtschaft, schließlich arbeitet der Mensch hier mit Boden, Luft und Wasser, Arten und Genen. Würde unsere Gesellschaft die Landwirtinnen und Landwirte fair bezahlen und zwar nicht allein für Lebensmittel, sondern auch für die „Produktion“ anderer Ökosystemleistungen, sähe unsere Landschaft ganz anders aus und um die biologische Vielfalt wäre es besser bestellt.

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