"Ich möchte keine kleinen Lungenärzte, sondern eine gesunde Umgebung für Kinder."
Herr Döring, wie sind Ihre Erfahrungen aus Ihrem Praxisalltag – haben wir ein Problem mit schlechter Luft?
Ich bin Kinderarzt in Köln, einer Stadt mit vielen Hot Spots. Nicht nur der Verkehr ist ein Problem, auch das rheinische Braunkohlerevier vor der Haustür, dazu die Rheinschifffahrt, zwei Flughäfen und die Tallage in Richtung Bergisches Land. Das führt dazu, dass ich Kinder in meiner Praxis habe, die dann hohen Belastungen ausgesetzt sind und vorgeschädigt. Ein einfacher Infekt hat dann ein deutlich schweres Krankheitsbild, den Kindern geht es richtig schlecht. Ich habe auch kleine Patienten, die mir berichten, dass sie ihren Schulweg ändern müssen, da sie an dem kurzen Weg entlang der stark befahrenen Straße anfangen zu husten.
Manche Kinder sind gezwungenermaßen schon Experten im Umgang mit Atemluft-Messgeräten, Medikamenten und Asthmasprays. Das ist beängstigend. Denn ich möchte keine kleinen Lungenärzte, sondern eine gesunde Umgebung, in der Kinder frei durchatmen können.
Inwiefern sind Kinder besonders von Luftschadstoffen betroffen?
Besonders schwerwiegend ist die Situation bei sehr kleinen Kindern. Bis zum sechsten Lebensmonat sind die Abwehrkräfte von Kindern noch von der Mutter „geliehen“, danach ist der Kinderkörper schnell auf sich allein gestellt. Bis die Abwehrkräfte jedoch voll ausgebildet sind, dauert es. Hinzukommt, dass die Atemwege bei Kindern noch sehr klein sind. Nun sind schwache Abwehrkräfte und kleine Atemwege eine ungute Kombination. Denn insbesondere in der Großstadt ist die Infekt-Gefahr besonders hoch. Das gilt für jeden, für Kleinkinder aber umso mehr. Durch die verringerten Abwehrkräfte ist die Immunitätsleistung, die einen Infekt abwehren könnte, deutlich geringer als bei älteren Kindern. Die Kinder haben dann also häufig Infekte, oft auch hintereinander. Das führt dazu, dass diese kleinen Atemwege zugeschwollen sind. Wir haben also nicht nur die Gefahrenlage kleine Atemwege bei vielen Infekten, sondern auch die Gefahrenlage viele Infekte bei unreifen Abwehrmechanismen.
Was macht Stickstoffdioxid so gefährlich?
Stickstoffdioxid (NO2) ist ein Reizgas das zu einer zusätzlichen Schleimhautschwellung führen kann – und das genau an den Stellen, die am verletzlichsten sind. Nämlich dort, wo die Lungenbläschen versuchen, den Sauerstoffaustausch und die Kohlendioxidabgabe zu regeln. Diese Fläche in den Lungenbläschen ist es, wo das NO2 wirkt. Wenn das Kind also einatmet, geht das NO2 bis unten in die Lungenbläschen. Hier kommt das NO2 mit der Oberfläche der Lungenbläschen in Kontakt und es entsteht Salpetersäure. Diese führt je nach Konzentration von NO2 und Dauer der Belastung zu einer chronischen stärkeren Entzündung, deren Botenstoffe in die Blutbahn gelangen. Wir haben also ein zentrales Organ, das Botenstoffe der Entzündung ständig in den kindlichen Organismus einspült. Umweltmediziner gehen davon aus, dass genau diese Botenstoffe verantwortlich sind für weitere Erkrankungen, die man im Zusammenhang mit NO2 gefunden hat.
Kinder sind also empfindlicher gegenüber Luftschadstoffen und gleichzeitig werden die kleinen Organe durch die Schadstoffe immer weiter angegriffen. Potenziert sich also damit die Belastung durch NO2?
Genau. Und weil das so unglücklich zusammentrifft, sind Kinder in diesem Alter besonders gefährdet. Zusätzlich gehen erste Untersuchungen dahin, dass man sagt, wenn schwangere Frauen im Falle einer durch die Belastung mit NO2 bzw. der entstandenen Salpetersäure ausgelösten Entzündung diese Botenstoffe produzieren, diese auch über den Mutterkuchen an das ungeborene Kind weitergegeben werden. Diese Entzündungsstoffe sind nicht gut für die Entwicklung der Kinder in einer Zeit, in der sich die Zellen des werdenden Kindes sehr häufig teilen. In der Phase der häufigen Zellteilung wirken belastende Gifte viel stärker als etwa im späteren Alter, in dem die Zellteilung deutlich geringer ist.
Sind bleibende Schäden zu befürchten?
Die beschriebenen Beeinträchtigungen bestehen zumeist ein Leben lang. Die Kinder haben dann eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit der Lungenfunktion. Sei es um fünf, 10 oder 20 Prozent. Hinzu kommt das erhöhte Risiko für Diabetes, Bluthochdruck und Schlaganfall. Damit beeinflussen wir in der empfindlichsten Zeit die gesundheitliche Zukunft unserer Kinder negativ.
In letzter Zeit ist verstärkt die Diskussion aufgekommen, dass der Grenzwert für die NO2-Konzentration (40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft) nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht und viel zu hoch angesetzt sei. Kerzen am Adventskranz könnten schon deutlich höhere Werte verursachen. Wie schätzen Sie das ein?
Man muss hier unterscheiden: Wie viele Stunden oder Minuten habe ich eine Kerze im Jahr an und an wie vielen Stunden oder Minuten atme ich die Luft um mich herum ein? Ich kann ja nicht aufhören zu atmen. Bei hoher Konzentration haben wir also über das ganze Jahr permanent die Umsetzung von NO2 zu Salpetersäure und damit andauernd die Freisetzung von geringen Dosen dieser Botenstoffe, die unsere Gesundheit schädigen. Vor allem, da ja bereits Werte ab 20 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft nachweislich gesundheitliche Beeinträchtigungen mit sich bringen. Auch die WHO geht von dieser Wirkungsschwelle aus. Eine Absenkung des Grenzwertes auf 20 Mikrogramm brauchen wir als Vorsorgewert, wenn wir das Recht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit ernst nehmen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Dorothee Saar, Leiterin des Bereichs Verkehr und Luftreinhaltung bei der DUH.
Dieses Interview wurde auf Grund der Länge in Teilen gekürzt. Das vollständige Interview finden Sie am Ende dieser Seite im Downloadbereich als PDF.