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"Große Konzerne bestimmen die Leitlinien der Politik"

Dienstag, 28.12.2021

Jürgen Resch kritisiert, die Regierung Merkel habe allzu sehr nach den Interessen der Industrie geschielt und damit auch dem Klima geschadet. Sowohl die Politik als auch Unternehmen will der Bundesgeschäftsführer auf den 1,5-Grad-Pfad lenken.

Für dein Ziel, ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen durchzusetzen, konntest du Umweltverbände, Polizeigewerkschaft und den Deutschen Verkehrssicherheitsrat gewinnen. 60 Prozent der Bevölkerung wollen es. Selbst der ADAC hat seinen Widerstand aufgegeben. Wie willst du die neue Koalition umstimmen?

Entweder wir überzeugen die neue Bundesregierung davon, das Tempolimit trotz der Widerstände der FDP umzusetzen oder wir werden sie über eine bereits anhängige Klimaklage zwingen, kurzfristig wirksame Klimamaßnahmen auch im Verkehrsbereich zu beschließen. Das Tempolimit bringt, richtig umgesetzt, bis zu acht Millionen Tonnen CO2 Einsparung pro Jahr.

Du forderst den EU-weiten Ausstieg aus Verbrennern bis 2030, in Deutschland sogar ein Zulassungsverbot für reine Verbrennungsmotoren ab dem 1. Januar 2025. Schaffen wir die Antriebswende in den kommenden drei Jahren?

Vorstandsvorsitzende von Automobilunternehmen haben mir versichert, dass sie ihre Produktion bis 2030 sogar weltweit auf batterieelektrische Antriebstechnik umstellen könnten – wenn sie dazu gezwungen wären. Daher fordern wir ehrgeizige Vorgaben durch die Bundesregierung, eben wie die norwegische Regierung einen Zulassungsstopp für alle Verbrenner-Pkw ab 2025.

Welchen Umbau schlägst du dem Autoland Deutschland vor?

Deutschland sollte den Ehrgeiz haben, wieder Weltmarktführer bei sauberen Bussen, U- und Straßenbahnen und sonstigen Schienenfahrzeugen zu werden. Hier hat uns China bereits überholt. Dort werden jedes Jahr Zehntausende E-Busse gebaut, in Deutschland wenige Hundert. Und für die Automobilproduktion müssen die schweren SUV-Stadtpanzer schnell aus dem Angebot von Audi, BMW, Daimler, VW und Porsche verschwinden. Das geht am besten, indem die neue Bundesregierung solche Fahrzeuge nicht mehr als Dienstwagen zur Hälfte finanziert.

Werden sich einkommensschwache Menschen die Mobilität der Zukunft leisten können?

Gerade für die Menschen mit wenig Geld kämpfen wir. Für einen Euro am Tag soll durch ein „Klimaticket“ eine bundesweite Mobilität mit Regionalbahn, Bus und Straßenbahn möglich sein, verbunden mit einer Mobilitätsgarantie für den ländlichen Raum. Und für diejenigen, die sich dennoch einen privaten Pkw anschaffen wollen, gibt es bereits heute attraktive Modelle als Neuwagen, die preislich mit vergleichbaren Verbrennern nicht nur mithalten, sondern unter Berücksichtigung der Betriebskosten sogar günstig sind.

Du willst in Deutschland die Anzahl der Pkw halbieren?

In Großstädten machen viele junge Menschen heute nicht mehr den Führerschein. Fahrrad oder E-Bike und ein attraktives Angebot im öffentlichen Personennahverkehr haben dazu geführt, dass beispielsweise in Berlin pro 1.000 Einwohnern nur halb so viele Autos zugelassen sind wie in der Autostadt Stuttgart.

Wie sieht nachhaltige Mobilität auf dem Land zukünftig aus?

Ich wohne selbst in einem kleinen Dorf und wir kämpfen um einen zumindest stündlichen Anschluss an die umliegenden Städte und Verkehrsknotenpunkte. Eine intelligente, kostengünstige und schnell umsetzbare Lösung zur Erhöhung des Angebots ist die Einbindung des Taxigewerbes für Ruftaxi-Verbindungen im Busfahrplan zu festen Zeiten mit kurzer Vorbuchungsfrist.

2021 war das europäische Jahr der Schiene.

Nicht in Deutschland – der Bau neuer Schienenstrecken ist seit Jahren praktisch zum Stillstand gekommen. In anderen europäischen Staaten erleben wir hingegen eine stürmische Elektrifizierung und Digitalisierung des Bahnverkehrs. Während bei uns Schlafwagenzüge aus Kostengründen eingestellt wurden, betreibt die ÖBB diese in Deutschland weiter – mit Gewinn. Wir fordern eine Trennung von Netz und Betrieb. Ergebnis muss ein leistungsfähiges Schienennetz getrennt von einer Deutschen Bahn sein.

In mehr als 30 deutschen Städten konnte die DUH bereits gerichtlich „Saubere Luft“ durchsetzen. Sind die Klagen und gerichtlichen Vergleiche der Königsweg zu einer schnelleren Verkehrswende?

Ohne die Klagen hätten wir nicht gegen den erbitterten Widerstand der Autoindustrie und ihres Vertreters im Bundeskabinett, Andreas Scheuer, 1,5 Milliarden Euro für die Verkehrswende in den beklagten Städten und Ländern erkämpfen können. Viele haben sich bei uns bedankt. Der Bund stellte diese Gelder für mehr Busverkehre oder die Reparatur defekter Abgasreinigungen nur für die Städte zur Verfügung, die wir verklagt haben. Das ist eine absurde Luftreinhalte- und Verkehrspolitik. Neben Dieselfahrverboten in mehreren Städten sind wir auf die durch Gerichtsentscheidungen und Vergleichsvereinbarungen erzielten Verbesserungen im Angebot von Bahn, Bus und auf Fahrradverkehre und die Zurückdrängung des Autoverkehrs besonders stolz.

Mit dem Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts vom März dieses Jahres hat die DUH Geschichte geschrieben. Welche Veränderung hat es bewirkt?

Das ist der mit Abstand wichtigste Gerichtsentscheid, der in Europa für den Klimaschutz ergangen ist. Artikel 20 a der Verfassung ist aufgewertet als „Recht auf Zukunft“ für die junge Generation. Mit dieser Entscheidung des höchsten deutschen Gerichtes im Rücken werden wir so lange über das juristische System arbeiten, bis wir Maßnahmenpakete von Bundesregierung, -ländern und ausgewählten Unternehmen haben, die im Einklang mit dem 1,5-Grad-Ziel stehen.

Welche Rolle spielen Unternehmen für den Klimaschutz?

Die großen Konzerne bestimmen leider bisher die Leitlinien der Politik. Wir erleben es über den Wirtschaftsrat der CDU, sehen es aber auch in der FDP, der SPD und teilweise bei den Grünen wie in Baden-Württemberg. Besonders eindrucksvoll ist die Fernsteuerung der Merkel-Regierungen durch die Autokonzerne, bis hin zur Verhinderung ambitionierter CO2-Neuwagen-Vorgaben oder dem Einsatz der Kanzlerin in China zur Verschiebung von Elektromobilitätsvorgaben für deutsche Autobauer. Wir haben BMW, Mercedes und den Energieversorger Wintershall Dea verklagt, die sich aus dem Pariser Klimaprotokoll ergebende Restmenge an CO2 nicht zu überschreiten, was die Emission ihrer Produkte angeht. Und ab 2030 müssen BMW und Mercedes aus dem Verbrennungsmotor aussteigen.

Wie finanziert die DUH ihre Klimaklagen?

Ausschließlich über private Spenden und Stiftungen. Wer uns ganz speziell dabei unterstützen und vielleicht auch inhaltlich mitdiskutieren möchte, kann Klimaklagen-Pate werden. Allen Unterstützern danke ich sehr herzlich, dass sie diesen Weg mit uns gemeinsam gehen. Wir tauschen uns alle sechs bis acht Wochen mit den Klimaklagen-Paten und auch mit unseren Anwälten in Video-Calls aus. So haben wir viele wichtige Impulse für unsere juristische und politische Arbeit bekommen.

Die letzte Umweltministerin hat den offenen Konflikt mit der Autoindustrie und dem Wirtschaftsministerium gescheut. Erwartest du mehr von der neuen Bundesregierung?

Ich hoffe, dass sich die neue Bundesregierung aus dem Würgegriff großer Industriekonzerne befreit. Wir brauchen endlich eine Regierung, die den einzelnen Bürger genauso ernst nimmt wie einen Wirtschaftskonzern. Und die ihre Gesetze genauso beachtet wie ihre internationalen Zusagen zum Beisiel im Klimaschutz. Und die umweltschädliche Subventionen in den nächsten vier Jahren auf null reduziert. Das Umweltbundesamt hat im Oktober 2021 einen neuen Rekordbetrag von 65 Milliarden Euro gemeldet, mit dem der Staat jährlich klimaschädliches Handeln unterstützt.

Welche Schwerpunkte wird die DUH im Jahr 2022 in ihrer Klimaschutz-Strategie verfolgen?

Die energetische Sanierung, den Abschied von fossilen Energieträgern und im Mobilitätsbereich als erste ganz konkrete Maßnahme: ein Tempolimit auf Autobahnen und Herabsenken der Geschwindigkeiten außerorts und in der Stadt.

Dieses Interview erschien im DUH-Jahresbericht 2021.

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