„Es ist wichtig, die realen Emissionen stets im Blick zu behalten“
Herr Mock, zum Auftakt unserer Kampagne „Get Real – Für ehrliche Spritangaben“ haben wir bereits 2017 ein Interview mit Ihnen geführt. Die Lücke zwischen den offiziellen Herstellerangaben und dem realen Spritverbrauch von Pkw belief sich damals auf 42% im NEFZ-Prüfverfahren. Wie hat sich die Spritlücke seitdem entwickelt?
Die neuesten Daten, welche wir bislang auswerten konnten, beziehen sich auf Neufahrzeuge aus dem Jahr 2018. Für diese Fahrzeuge deutet alles darauf hin, dass sich die Differenz zwischen den offiziellen NEFZ-Angaben und dem realen Spritverbrauch bei etwa 40% stabilisiert hat oder sogar leicht zurückgeht. Einen weiteren Anstieg, wie wir ihn in den Jahren zuvor beobachteten, gab es in jüngster Zeit nicht mehr.
Das Interview fand damals zum Zeitpunkt der Einführung des neuen Prüfverfahrens WLTP statt. Welche Bilanz ziehen Sie bezüglich des WLTP drei Jahre nach seiner Einführung, gerade auch im Vergleich mit dem alten Prüfverfahren NEFZ?
Das WLTP-Verfahren ist wesentlich realistischer und robuster als das alte NEFZ-Verfahren. Das spiegelt sich nun auch in den Daten wider. Die verfügbare Datenmenge ist bislang noch zu gering für eine solide statistische Auswertung. Aber erste Auswertungen von uns weisen darauf hin, dass die durchschnittliche Abweichung zwischen den offiziellen WLTP-Angaben und dem realen Spritverbrauch sehr viel geringer ist als noch beim NEFZ, bei etwa 15%.
Das alte Testverfahren NEFZ ist wegen der vielen Schlupflöcher in die Kritik geraten. Gibt es auch Schlupflöcher beim WLTP und wenn ja, ist schon absehbar, welche besonders stark von den Herstellern ausgenutzt werden? Was kann von Seiten der EU und der Bundesregierung unternommen werden, um das Prüfverfahren zu verbessern und realistische Herstellerangaben zu erzielen, an denen sich die Verbraucher*innen orientieren können?
Eine so komplexe Regulierung wie das WLTP-Testverfahren enthält fast zwangsläufig Schlupflöcher, das lässt sich leider kaum vermeiden. Im Moment ist es noch zu früh, zu sagen, wo diese liegen – das wird sich in den kommenden Jahren zeigen. Wichtig ist daher, dass parallel zu den offiziellen WLTP-Angaben auch immer die realen Verbrauchs-/CO2-Angaben im Blick aller Akteure bleiben.
Zum Glück haben wir heute die technischen Voraussetzungen hierfür. Das beginnt schon bei der Kundeninformation: Plattformen wie das europäische Projekt MILE21 informieren interessierte Kund*innen über den realen Verbrauch der verfügbaren Fahrzeugmodelle. Zudem müssen die Hersteller seit diesem Jahr die realen Verbrauchswerte ihrer Fahrzeuge mit On-Board Fuel Consumption Meters protokollieren und – anonymisiert – an die zuständigen Behörden übermitteln.
Nun ist es dringend notwendig, dass die EU-Kommission und die Bundesregierung die so gesammelten Daten nutzen – für die Information von Verbraucher*innen, aber auch, um eine reale Verbesserung von Seiten der Fahrzeughersteller einzufordern. Ein Sonderfall sind Plug-In-Hybridfahrzeuge. Hier sind die Abweichungen zwischen offiziellen und realen Angaben besonders hoch. Für diese Fahrzeuge sollten die im WLTP-Verfahren verwendeten Faktoren überarbeitet und steuerliche Anreize nur dann gewährt werden, wenn eine reale Emissionsminderung nachgewiesen werden kann.
Derzeit befinden wir uns in einer Übergangsphase vom alten Prüfverfahren NEFZ zum neuen Verfahren WLTP; die Hersteller geben deshalb derzeit für jedes Fahrzeug Testwerte in beiden Verfahren an. In diesem Zusammenhang hat die DUH kürzlich drei Euro 6 d-TEMP-Fahrzeuge durch den TÜV Nord auf dem Rollenprüfstand im alten und neuen Verfahren messen lassen. Bei allen drei Fahrzeugen ergaben die TÜV-Messungen eine deutlich geringere Differenz zwischen NEFZ und WLTP-Werten, als die Hersteller offiziell angegeben haben. Unser Verdacht ist daher, dass die Hersteller die Differenz zwischen NEFZ und WLTP derzeit zumindest bei einigen Fahrzeugen künstlich erhöhen. Hat das ICCT Hinweise, die diesen Verdacht unterstützen oder widerlegen? Welche Vorteile hätte eine künstlich große Differenz zwischen NEFZ und WLTP für die Hersteller?
Ab 2022 haben die Fahrzeughersteller eine prozentuale CO2-Verringerung statt einer absoluten zu erbringen. Gelingt es einem Hersteller, beim Umstieg von NEFZ zu WLTP einen höheren Startwert zu fixieren, so ist prozentual eine größere Verringerung der Emissionen möglich – besonders dann, wenn mit administrativen Tricks gearbeitet wird, die Emissionen also auf dem Papier erst hoch- und dann heruntergerechnet werden. Ein solcher Trick wäre es, den WLTP-Wert eines Fahrzeugmodells zunächst absichtlich höher anzugeben als im Labor gemessen und dann nach Einführung des neuen Minderungsziels wieder dem tatsächlich gemessenen Wert anzugleichen.
Für die Zeit ab 2025 hat die Europäische Kommission einem solchen Vorgehen den Riegel vorgeschoben, da ab dann nur noch die vom Hersteller gemessenen – nicht die angegebenen – WLTP-Werte zählen. Aber zwischen 2021 und 2024 besteht für die Hersteller tatsächlich ein Anreiz, zu tricksen. Auch hier ist es also wieder wichtig, die realen Emissionen stets im Blick zu behalten. Sollte die Europäische Kommission bemerken, dass ein Hersteller über administrative Tricks seine CO2-Werte schönt, sollte sie meiner Meinung nach eingreifen und eine nachträgliche Korrektur vornehmen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview wurde im Rahmen der Kampagne „Get Real – Für ehrliche Spritangaben“ durchgeführt. Get Real wird im Rahmen des LIFE-Programms von der EU-Kommission gefördert.
Fordern Sie mit uns: Schluss mit Klimakillern und Verbrauchertäuschung!