Pressemitteilung
Deutsche Umwelthilfe geht gerichtlich gegen die geplante Kappung der „Gäubahn“ und damit weiter Teile von Baden-Württemberg, der Schweiz und Italien vom Bahnnetz vor
Berlin, 2.5.2023: Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) geht gegen die mit der Inbetriebnahme von Stuttgart 21 geplante Kappung der „Gäubahn“ und damit weiter Teile von Baden-Württemberg, der Schweiz und Italien vom Hauptbahnhof Stuttgart vor. Ein von der DUH in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten belegt, dass die beabsichtigte Amputation des Lebens- und Arbeitsraumes von vielen Millionen Menschen vom transeuropäischen Bahnnetz für geplant sieben Jahre, realistischerweise aber 15 bis 20 Jahre nicht von den Planfeststellungsbeschlüssen abgedeckt und damit unzulässig ist.
Dafür müsste eine ausdrückliche Genehmigung des Eisenbahn-Bundesamtes, entweder durch einen Planänderungsbeschluss oder einen neuen Planfeststellungsbeschluss vorliegen. Da dies nicht der Fall ist, ist dieses Vorhaben der Bahn rechtswidrig. Die DUH hat daher am 27. April 2023 beim Eisenbahn-Bundesamt beantragt, der DB Netz AG die derzeit geplante, durch keinen Planfeststellungsbeschluss gedeckte Abtrennung der Gäubahn zu untersagen. Sollte dem Antrag nicht binnen eines Monats stattgegeben werden, wird die DUH unmittelbar Klage beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg erheben.
Die Gäubahn bindet etliche Regionen im südlichen Baden-Württemberg, der Schweiz und Italien an Stuttgart und damit insgesamt ans übrige deutsche und europäische Bahnnetz an. Nach neuesten Planungen soll diese gerade auch für internationale Verkehre nach Italien und in die Schweiz bedeutende Strecke mit der Eröffnung von Stuttgart 21 und dem Abriss des alten Kopfbahnhofs im Jahr 2025 für mindestens sieben Jahre entweder am Bahnhof Vaihingen vor Stuttgart oder einem noch nicht einmal planfestgestellten, geschweige denn gebauten neuen „Nordhalt“ fernab des Stuttgart 21 Tiefbahnhofs enden. Passagiere müssten dort aussteigen und in Stadtbahnen oder S-Bahnen wechseln, die sie dann weiter zum Hauptbahnhof transportieren. Beim keinesfalls schon 2025 fertiggestellten Nordhalt müssten die Reisenden bei Wind und Wetter zu Fuß einen beschwerlichen Weg zur S-Bahn und Stadtbahn am Nordbahnhof bewältigen. Zudem werden die geplanten Sanierungsarbeiten auf den übrigen Abschnitten der Gäubahn den Schienenverkehr zusätzlich beeinträchtigen.
Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH: „Bund, Land und Bahn haben seit Beginn der Planungen im Jahr 1994 den Bürgern gebetsmühlenartig immer wieder versprochen, dass der Bau des Tiefbahnhofs Stuttgart 21 zu keiner Verschlechterung der Bahnverbindungen in der Fläche führen werde – im Gegenteil sollte sich die desolate Situation verbessern. Mit der nun geplanten Amputation weiter Teile des Landes vom Bahnanschluss Stuttgart müssten zukünftig Millionen Menschen im Süden des Landes, der Schweiz und Italien ins Auto steigen. Unsere juristische Überprüfung hat ergeben, dass der geplante vorsätzliche Verstoß gegen einen rechtskräftigen Planfeststellungsbeschluss so massiv ist, dass wir diesen über unsere Klage verhindern können und werden. Es kann nicht sein, dass auch im Jahr 2023 in einer grün mitregierten Landes- wie Bundesregierung eine leistungsfähige Bahn systematisch verhindert und Automobilpolitik pur betrieben wird. Gegen die Schiene und für noch mehr Autoverkehr. Die beabsichtigte Kappung und zu erwartenden weiteren Beeinträchtigungen würden die Gäubahn zur großen Freude der Automobilkonzerne extrem unattraktiv machen und hätte zur Folge, dass sich der Verkehr von der Schiene auf die Straße verlagert. Das schadet dem Klima erheblich und ist mit den Klimazielen Baden-Württembergs nicht vereinbar.“
Rechtsanwalt Remo Klinger, der das Rechtsgutachten erstellt hat: „Die Planfeststellungsbeschlüsse für Stuttgart 21 sagen in großer Deutlichkeit, dass die einzelnen Abschnitte der Planung in einem engen zeitlichen Zusammenhang stehen. Die Auflösung dieses Zusammenhangs durch die jahrelange Abbindung der Gäubahn ist davon nicht gedeckt. Das Vorhaben der Bahn hat daher keine rechtliche Grundlage. Wir werden gerichtlich durchsetzen, dass das Eisenbahn-Bundesamt dies der Bahn untersagt.“
Oberbürgermeister von Singen, Bernd Häusler (CDU): „Als Oberbürgermeister einer großen Kreisstadt mit hoher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit in Grenznähe zur Schweiz spreche ich auch im Namen unserer Nachbarn. Eine Abbindung der Gäubahn ist für uns nicht hinnehmbar und widerspricht dem Versprechen der Politik, eine Mobilitätswende einzuläuten. Die Lösung mittels des Pfaffensteigtunnels halte ich für ambitioniert. Die Unterbrechung der Direktanbindung nach Stuttgart von mehr als zehn Jahren ist nicht akzeptabel.“
Oberbürgermeister von Böblingen, Stefan Belz (Grüne): „Die Gäubahn muss weiter auf der Panoramabahn in den Stuttgarter Hauptbahnhof fahren können, bis die endgültige künftige Verbindung über den Flughafen fertig ist. Seit über vier Jahren fordern die Gäubahn-Anrainer: Keine Abbindung ohne Alternative! Sonst wären für zehn Jahre oder länger Stuttgart und große Teile des Bahnnetzes nur schwer zu erreichen. Jeder zusätzliche Umstieg geht zu Lasten der Fahrgäste und setzt eine attraktive, bequeme Gäubahn aufs Spiel. Für Böblingen ist sie auch eine zentrale Trasse für die S-Bahn, wenn die Stammstrecke gesperrt ist.“
Oberbürgermeister von Tuttlingen, Michael Beck (CDU): „Alle wollen die Verkehrswende, alle wollen die Bahn stärken – und dann wird stur an einem Plan festgehalten, der Millionen von Menschen über Jahre von der Landeshauptstadt und vom Fernverkehr abhängt. Das passt beim besten Willen nicht zusammen. Dabei wäre die Kappung der Gäubahn nicht nötig. In den letzten Monaten wurden immer wieder Alternativen aufgezeigt. Sie setzen freilich voraus, dass die Landeshauptstadt Stuttgart bei ihren städtebaulichen Plänen Kompromisse macht. Als Gäubahn-Anlieger laufen wir hier aber seit Jahren gegen Mauern. Umso mehr freuen wir uns über jeden Vorstoß, der unser Ziel unterstützt, auch nach 2025 weiter eine direkte Anbindung an den Stuttgarter Hauptbahnhof zu behalten.“
Oberbürgermeister von Radolfzell, Simon Gröger (parteilos): „Der westliche Bodenseeraum muss auch überregional bestmöglich an den ÖPNV angeschlossen sein. Die Gäubahn ist hierbei eine wichtige Verbindungslinie, daher muss die Anbindung der Gäubahn sichergestellt und verbessert werden.“
Oberbürgermeister von Konstanz, Uli Burchardt (CDU): „Es ist ein herber Rückschlag in den Bemühungen um nachhaltige Mobilität, wenn dem südlichen Landesteil die umweltfreundliche Erreichbarkeit der Landeshauptstadt Stuttgart mit der Bahn erschwert wird. Genau das bringt die von der Landesregierung geplante Abbindung der Gäubahn über Jahre hinweg mit sich. Ein Schritt, der aus Nachhaltigkeitsaspekten völlig unverständlich ist und die wirtschaftliche und touristische Benachteiligung einer ganzen Region zur Konsequenz hat.“
Leiter Koordinationsstelle öffentlicher Verkehr, Kanton Schaffhausen, René Meyer: „Der Kanton Schaffhausen setzt sich für eine schnelle, direkte und zuverlässige Verbindung entlang der Achse Zürich - Stuttgart ein. Die Gäubahn soll dafür ausgebaut und der Intercity ohne Unterbruch – auch während der Bauphase – bis in den Stuttgarter Hauptbahnhof geführt werden.“
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Das Rechtsgutachten finden Sie am Ende dieser Seite.
Kontakt:
Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer DUH
0171 3649170, resch@duh.de
Prof. Dr. Remo Klinger, Geulen & Klinger Rechtsanwälte
0171 2435458, klinger@geulen.com
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