Basic Instinct im Insektenreich
Der Artikel erschien in der DUHwelt 3/20.
Mantis religiosa – bereits der Name der Gottesanbeterin klingt geheimnisvoll. Zusammen mit ihrem bisweilen tödlichen Paarungsakt und den gefährlich bewehrten Fangarmen ist der Mythos des exotischen Insekts perfekt. Mantis religiosa ist die einzige hierzulande vorkommende Fangschrecke und etwa handtellerlang, wobei die Weibchen – dem Fortpflanzungstrakt geschuldet – größer und kräftiger sind als die Männchen. Die Färbung der Tiere ist meist grasgrün mit hellbraunen Partien, aber es gibt auch rein braune Gottesanbeterinnen, im Farbton an welkes Laub erinnernd und damit perfekt an trockene Habitate angepasst.
In trocken-warmen Gefilden
Noch vor wenigen Jahrzehnten war die betende Mörderin nur am Kaiserstuhl, der mit mediterranem Klima ausgestatteten äußersten Südwestecke Deutschlands, heimisch. Mittlerweile hat sie sich bis nach Mecklenburg-Vorpommern ausgebreitet, nur im hohen Norden der Republik fehlt sie bislang – oder hat man sie dort nur noch nicht nachweisen können? Der Verdacht liegt nahe, denn die Tiere sind trotz ihrer Größe und außergewöhnlichen Erscheinung nur sehr schwer in ihrem natürlichen Lebensraum zu entdecken. Ihre mediterrane Herkunft kann die Gottesanbeterin nicht verhehlen, denn auch in Deutschland ist sie an warme, sonnige und trockene Standorte mit reichlich Vegetation gebunden. Sie sitzt im hohen Gras einer Böschung und lauert dort auf Heuschrecken; an der Unterseite großer Blüten wartend, fängt sie Hummeln und Bienen; im Brombeergebüsch einer Bahntrasse schnappt sie sich Käfer und Fliegen.
Ich hab‘ dich zum Fressen gern
Die pflanzliche Kulisse ist ihr kaum wichtig, solange es reichlich schwirrende Nahrung gibt. Denn sie frisst alle Insekten, die sich in ihrer Nähe bewegen – auch Artgenossen oder gelegentlich den Sexualpartner während oder nach der Paarung: Basic Instinct im Insektenreich. Zur Fortpflanzung wird der Gottesanbeter ohnehin nur dieses eine Mal gebraucht. Denn überwintern können die wärmeliebenden Fangschrecken nicht, sie sterben spätestens im Oktober. Die Dame klebt ein paar Hundert Eier in einer Schaumpackung an einen Stein oder eine andere feste Unterlage, wo die Oothek, die Eiersammlung, wie Bauschaum ausbackt. Darin sind die Larven vor kalter Witterung geschützt. Erst im nächsten Frühling schlüpfen die winzig kleinen Räuber.
Der Killernachwuchs schlüpft schon fertig ausgebildet, ist aber für viele Insekten zunächst keineswegs bedrohlich. Das ändert sich erst nach einer Anzahl von Häutungen, die die Tiere über den Sommer durchlaufen, wobei sie jedes Mal größer werden. Erst nach dem letzten Hautwechsel haben sie Flügel, die sie jetzt auch für die Partnersuche benötigen. Per Pheromon-Duft kommunizieren sie ihre Paarungsbereitschaft und den Treffpunkt fürs Rendezvous. Dann sind Flüge manchmal notwendig. Ansonsten klettern die ewig hungrigen Insekten meist zu Fuß durch die Botanik. Auf der Suche nach sechsbeinigen Mahlzeiten schwanken sie oft der bessere Tarnung wegen wie ein Blatt im Wind.
Schnipp, schnapp
Im Jagdmodus bringt die Gottesanbeterin ihre Vorderbeine in eine „betende“ Stellung – auf diese Pose spielt ihr Name an. Voll ausgestreckt sind die Fangbeine etwa so lang wie der Körper selbst; besetzt mit unfair spitzen Widerhaken gestatten sie der Beute kein Entrinnen. Das Zuschnappen geht so schnell vonstatten, dass man selbst beim Hinsehen kaum bemerkt, was passiert. Danach wird das Opfer von links nach rechts abgenagt wie ein Maiskolben am Lagerfeuer. Obwohl die Gottesanbeterin auf dem Vormarsch ist, steht die Art auf der Roten Liste und ist hierzulande streng geschützt. Sie ist immer noch sehr selten. Entdeckt man eines der fremdartig aussehenden Insekten, kann man sich also durchaus glücklich schätzen.
Steckbrief
Gottesanbeterin (Mantis religiosa)
Verwandtschaft: In Deutschland ist die Europäische Gottesanbeterin die einzige Vertreterin der Fangschrecken.
Lebensraum und Verbreitung: Warme und vegetationsreiche Habitate wie Böschungen, Bahndämme, Ruderalfluren.
Aussehen: 6 cm (Männchen) bis 7 cm (Weibchen) Körperlänge, zuzüglich Fühlern und Fangarmen. Große Facettenaugen.Die Grundfärbung der Tiere reicht von hellgrün bis hellbraun und ist von der Umgebung abhängig.
Nahrung: Insekten aller Arten. Neigt zum Kannibalismus.
Gefährdung: Rote Liste 3 – gefährdet. Nach Bundesartenschutzverordnung besonders geschützt.