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Pressemitteilung

Erfolg der Deutschen Umwelthilfe vor dem Europäischen Gerichtshof: Zwangshaft gegen Amtsträger des Freistaats Bayern ist wegen gravierender Rechtsverstöße unter bestimmten Voraussetzungen zu verhängen

Donnerstag, 19.12.2019 Dateien: 1

EuGH entschied, dass „unter Umständen, die durch die beharrliche Weigerung einer natio-nalen Behörde gekennzeichnet sind, einer gerichtlichen Entscheidung nachzukommen, das zuständige nationale Gericht Zwangshaft … zu verhängen hat“ – Nach Auffassung der Deutschen Umwelthilfe liegen die dabei zu beachtenden Voraussetzungen vor – Bayerischer Verwaltungsgerichtshof hat bereits in seinem Beschluss von 9.11.2018, der zur Vorlage beim EuGH führte, darauf hingewiesen, dass die nach dem Urteil des EuGH nötige Vorhersehbarkeit dadurch erreicht werden kann, dass die Zwangshaft vor ihrer Verhängung ein letztes Mal angedroht wird und die von Zwangshaft betroffenen Amtsträger konkret benannt werden – DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch „Heute ist ein guter Tag für den Rechtsstaat und für die Saubere Luft in München und anderen Städten – Heutige Entscheidung auch für die Zwangshaftanträge der DUH gegen Amtsträger der Landesregierung von Baden-Württemberg wegweisend – Deutsche Gerichte müssen prüfen, wie System der Verwaltungsvollstreckung fortentwickelt werden kann

© travelview/Fotolia

Luxemburg/ Berlin, 19.12.2019: Im Zwangsvollstreckungsverfahren der Deutschen Umwelthilfe (DUH) gegen die Bayerische Staatsregierung (AZ: 22 C 18.1718) für die Saubere Luft in München hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) heute sein Urteil verkündet. Die internationale Umweltrechtsorganisation ClientEarth unterstützt die Klage für Saubere Luft der DUH.

Der Gerichtshof hat entschieden, dass der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) wegen der beharrlichen Weigerung des Freistaats Bayern zur Erfüllung von gerichtlichen Entscheidungen, die der Umsetzung von Unionsrecht dienen, Zwangshaft gegen die Verantwortlichen des Freistaats Bayern zu verhängen hat, sofern zwei Voraussetzungen erfüllt sind. Zum einen muss es im innerstaatlichen Recht eine hinreichend zugängliche, präzise und in ihrer Anwendung vorhersehbare Rechtsgrundlage für den Erlass einer solchen Maßnahme geben. Zum anderen muss der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, wird nun der BayVGH prüfen. Nach Auffassung der DUH sind diese Voraussetzungen eindeutig erfüllt.

Die in § 167 VwGO i.V.m. § 888 ZPO geregelte Zwangshaft ist „hinreichend zugänglich“, da sie jeder Rechtssuchende leicht auffinden kann. Die Vorschrift ist auch „präzise“, denn sie wird gegenüber Bürgerinnen und Bürgern seit Jahrzenten unproblematisch angewendet, auch gegenüber juristischen Personen des Privatrechts trifft die Zwangshaft die Vertreter der Gesellschaft, ohne dass es jemals Zweifel an der nötigen Präzision gegeben hätte. Die Rechtsgrundlage ist auch „vorhersehbar“. Dazu hat der BayVGH bereits in seinem Vorlagebeschluss darauf hingewiesen, dass die Vorhersehbarkeit im Zweifel dadurch hergestellt werden kann, dass man die Zwangshaft nochmals ein letztes Mal androht und in der Androhung die von Zwangshaft betroffenen Personen benennt.

Soweit der BayVGH in seinem Vorlagebeschluss auf Verfassungsgerichtsentscheidungen verwies, die der Zwangshaft entgegenstünden, hat der EuGH darauf hingewiesen, dass die nationalen Gerichte gezwungen sind, alle nationalen Regeln unangewendet zu lassen. Im Ergebnis kommt es daher allein auf die durch den EuGH aufgestellten Kriterien an, deren Voraussetzungen nach Auffassung des DUH vorliegen.

Da es seit Jahren kein anderes Mittel gibt, den Freistaat zur Erfüllung des rechtskräftigen Urteils anzuhalten, ist die Zwangshaft verhältnismäßig. Insofern hat der EuGH darauf hingewiesen, dass der BayVGH zu prüfen habe, ob das deutsche Recht so ausgelegt werden kann, dass der Freistaat mehrere hohe Geldbußen in kurzen Zeitabständen, die nicht letzten Endes dem eigenen Haushalt zufließen, beispielsweise an den Vollstreckungsgläubiger, zu zahlen hat. 

Dazu Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH: „Heute ist ein guter Tag für den Rechtsstaat und für die Saubere Luft in München und anderen Städten. Das heutige Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs hat in einer bemerkenswerten Deutlichkeit bestätigt, dass nationale Gerichte dann zur Zwangshaft gegenüber Amtsträgern greifen müssen, wenn diese sich wie im Falle München oder Stuttgart weigern, rechtskräftige Gerichtsurteile korrekt umzusetzen. Damit ändert sich die Lobbyrepublik Deutschland ganz grundsätzlich. Bisher konnten Regierungspolitiker und Behördenleiter nicht belangt werden, wenn sie beispielsweise zum Wohle von Autokonzernen Gerichtsurteile nicht umsetzen. Das bisher schärfste Instrument war die Verhängung eines Zwangsgeldes von 10.000 Euro, das die Behörde an sich selbst zu zahlen hat. Mit der heutigen Entscheidung muss nun jeder Amtsträger fürchten, bei der Verweigerung der Umsetzung rechtskräftiger Urteile in Zwangshaft genommen zu werden.“

Rechtsanwalt Remo Klinger, der die DUH in dem Verfahren vertreten hat ergänzt: „Das Urteil ist ein Meilenstein für den deutschen Rechtsstaat. Es zeigt den Weg zu einer effektiven Vollstreckung gegenüber Staatsbediensteten auf, die denken, über dem Recht zu stehen. Ein Staat, in dem sich nur der Bürger an Gerichte zu halten hat, Politiker und Beamte aber beliebig entscheiden können, ob sie Urteile befolgen, ist kein Rechtsstaat.“

Hintergrund:

Zur Frage der Vorhersehbarkeit hat der BayVGH in seinem Beschluss vom 9.11.2018 ausgeführt:

„Es erscheint aus der Sicht des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs nicht klar, ob eine auf § 888 ZPO gestützte, der Durchsetzung rechtskräftiger Gerichtsentscheidungen dienende Anordnung von Zwangshaft gegen Amtsträger der Exekutive namentlich mit dem vorgenannten Erfordernis der „Vorhersehbarkeit“ einer freiheitsentziehenden Maßnahme vereinbar wäre. Hiergegen könnte zumal sprechen, dass eine Heranziehung jener Norm zu diesem Zweck seitens deutscher Gerichte – wie dargestellt – in der Vergangenheit wiederholt abgelehnt wurde.

Andererseits erscheinen diese Bedenken nicht unüberwindlich. Der Umstand, dass die für eine Inhaftierung in Betracht kommenden Amtsträger mit einer solchen Maßnahme bisher nicht zu rechnen brauchten, ließe sich nach Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs u. U. dadurch ausräumen, dass Zwangshaft erst angeordnet wird, nachdem dieses Zwangsmittel – abweichend von § 888 Abs. 2 ZPO, jedoch in Übereinstimmung mit § 172 VwGO und § 890 Abs. 2 ZPO – gegenüber dem in Haft zu nehmenden Amtsträger vorher angedroht wurde und er die Verpflichtungen, die sich aus den zu vollstreckenden Entscheidungen ergeben, auch innerhalb einer mit der Androhung zu verbindenden angemessenen Frist weiterhin nicht erfüllt hat.“ (Rn. 152 f.)

Dass sich der EuGH mit der Frage der Notwendigkeit und Zulässigkeit der Beugehaft zur Durchsetzung der Sauberen Luft in München auseinandersetzen muss, ist zurückzuführen auf die seit Jahren anhaltende Weigerung der Bayerischen Staatsregierung, das bereits seit 2014 rechtskräftige Urteil für Saubere Luft in München umzusetzen und Diesel-Fahrverbote in den Luftreinhalteplan der bayerischen Landeshauptstadt aufzunehmen.

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) hatte dem Freistaat mehrfach Zwangsgelder angedroht und festgesetzt, um zu erreichen, dass der Freistaat wegen des massiv überschrittenen NO2-Grenzwerts an vielen Straßen in München Diesel-Fahrverbote in den Luftreinhalteplan für München aufnimmt. Diese Zwangsgelder blieben wirkungslos, nachdem der Ministerpräsident des Freistaats erklärte, die rechtskräftige Entscheidung des höchsten bayerischen Verwaltungsgerichts zu missachten.

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof legte daraufhin im November 2018 dem EuGH die Frage vor, ob er nunmehr Zwangshaft gegen verschiedene Amtsträger des Freistaats, zu denen der Ministerpräsident und der Umweltminister zählen können, verhängen darf oder sogar muss, um die Erfüllung des Urteils durchzusetzen. Der BayVGH wirft der Staatsregierung und seinem Ministerpräsidenten Markus Söder in seinem Beschluss evidente Amtspflichtverletzungen, eine gezielte Missachtung des Gerichts sowie die Bedrohung des Fortbestands des Rechtsstaats vor.In München sind die NO2-Grenzwerte aktuell immer noch massiv überschritten, so z. B. an der Landshuter Allee mit 63 µg/m3, Paul-Heyse-Straße mit 57 µg/m3, Tegernseer Landstraße mit 56 µg/m3, Chiemgaustraße mit 53 µg/m3.

Links:

Das Urteil finden Sie am Ende dieser Seite.

Fragen und Antworten zum Verfahren: https://www.duh.de/faqs-saubere-luft/#c73552 

Kontakt:

Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer
0171 3649170, resch@duh.de 

Prof. Dr. Remo Klinger, Rechtsanwalt, Geulen & Klinger Rechtsanwälte
0171 2435458, klinger@geulen.com 

DUH-Pressestelle:

Ann-Kathrin Marggraf, Marlen Bachmann
030 2400867-20, presse@duh.de

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