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Verbräuchertäuschung mit vermeintlicher „Klimaneutralität“

Donnerstag, 16.06.2022
© Sebastian Duda/Fotolia

Verbraucherinnen und Verbraucher interessieren sich zunehmend für die Umwelteigenschaften und Klimaauswirkungen von Produkten und Dienstleistungen. Vermeintlich als „klimaneutral“ beworbenen Produkte erfreuen sich daher bei Verbraucherinnen und Verbrauchern zunehmender Beliebtheit, wenn es darum geht, einen direkten Beitrag zum Klimaschutz schon beim Einkauf zu leisten.

Handelsunternehmen und Industrie haben diesen Trend erkannt und bewerben Produkte und Dienstleistungen als „klimaneutral“, „klimapositiv“, „CO2-neutral“ oder mit ähnlichen Begriffen. Das betrifft beispielsweise Flugreisen, Kraftstoffe, Lebensmittel oder Kosmetika. 

Tatsächlich verschweigen die Unternehmen entweder ganz oder teilweise, wie sie die angebliche CO2-Kompensation erbringen oder sie verweisen auf Kompensationsprojekte, an die nur ein in der Regel niedriger Geldbetrag fließt. CO2-Emissionen werden dagegen kaum eingespart. Überprüfbare Informationen zu Zahlungen, Projekten und tatsächlicher Klimawirkung sind für Verbraucherinnen und Verbraucher teilweise nicht erhältlich oder nicht nachvollziehbar.

Der Begriff „klimaneutral“ und ähnlich geartete Begriffe sind in ihrer Bedeutung ungeklärt und umstritten. Sie werden in der Werbung immer häufiger benutzt, um Produkten ein positives Image zu geben. Die DUH ist der Ansicht, dass der Begriff „klimaneutral“ nicht für Produkte passt, für deren Herstellung zunächst CO2-Emissionen anfallen, auch wenn diese später angeblich durch Projekte kompensiert werden sollen. Nach Auffassung der DUH müssen die so werbenden Firmen aber in jedem Fall genau darstellen, wie die behauptete klimaneutrale Wirkung eintreten soll. Das tun sie in den abgemahnten Fällen nicht und darin sehen wir eine Verbrauchertäuschung.

Klärt ein Unternehmen über die von ihm genutzten Mittel zur Erreichung der CO2-Neutralität und die verbleibenden Unsicherheiten nicht ausreichend auf, handelt es daher irreführend in verbraucherrechtlicher Hinsicht. 

Grundlage ist das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb

Nach § 5a Abs. 2 UWG handelt unlauter, wer im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller Umstände dem Verbraucher eine wesentliche Information vorenthält, die der Verbraucher je nach den Umständen benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen, und deren Vorenthalten geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Irrige Verbrauchervorstellungen treten bei der Werbung mit Umweltschutzbegriffen häufig auf. Werden entsprechende Werbeaussagen getätigt, ist daher ein strenger Maßstab zu be-achten.

Auszüge aus der Rechtsprechung


Die Rechtsprechung geht davon aus, dass an die Zulässigkeit der Werbung mit Umwelt-schutzbegriffen besondere Anforderungen zu stellen sind (BGH, Urteil vom 09. Juni 1994 – I ZR 116/92, Juris, Rn. 17; BGH, Urteil vom 14. Dezember 1995 – I ZR 213/93, Rn. 33).

In einem Urteil des OLG Hamm vom 19. August 2021 – I-4 U 57/21 – erklärte dieses etwa:

Die Werbung mit Umweltschutzbegriffen und -zeichen ist danach ähnlich wie die Gesundheitswerbung grundsätzlich nach strengen Maßstäben zu beurteilen. Wegen der weiterhin bestehenden Unklarheiten insbesondere über Bedeutung und Inhalt von Begriffen wie etwa „umweltfreundlich“, „umweltverträglich“, „umweltschonend“ oder „bio“ sowie der hierauf hindeutenden Zeichen ist eine Irreführungsgefahr im Bereich der umweltbezogenen Werbung besonders groß, zumal beworbene Produkte überdies regelmäßig nicht insgesamt und nicht in jeder Beziehung, sondern meist nur in Teilbereichen mehr oder weniger umweltschonender sind als andere Waren. Unter diesen Um-ständen besteht ein gesteigertes Aufklärungsbedürfnis der angesprochenen Verkehrskreise über Bedeutung und Inhalt der verwendeten Begriffe und Zeichen. An die zur Vermeidung einer Irreführung erforderlichen aufklärenden Hinweise sind daher grundsätzlich strenge Anforderungen zu stellen, die sich im Einzelfall nach der Art des Produktes und dem Grad und Ausmaß seiner „Umweltfreundlichkeit“ bestimmen. Fehlen die danach gebotenen aufklären-den Hinweise in der Werbung oder sind sie nicht deutlich sichtbar herausgestellt, besteht in besonders hohem Maße die Gefahr, dass bei den angesprochenen Verkehrskreisen irrige Vorstellungen über die Beschaffenheit der angebotenen Ware hervorgerufen werden und sie dadurch in ihrer Kaufentscheidung beeinflusst werden (vgl. auch OLG Düsseldorf Urteil vom 17.05.2016 – 20 U 150/15, BeckRS 2016, 9407, Rn. 13). Diesen Anforderungen genügt die beanstandete Werbung der Verfügungsbeklagten ersichtlich nicht. Die Werbeaussagen „CO2 Reduziert“, „Umweltfreundliche Produkte und nachhaltige Verpackungen“, „Unser Beitrag zum Thema Nachhaltigkeit“ lassen in ihrer Allgemeinheit vollkommen offen, in Bezug auf welchen konkreten Aspekt des Produktionsprozesses, der Verpackung und des Vertriebs eine Umweltfreundlichkeit bzw. eine CO2-Reduktion in Relation zu welchem Standard konkret vorliegen soll und in welcher Hinsicht die verwendeten Verpackungen besonders nachhaltig sein sollen.

(OLG Hamm, Urteil vom 19. August 2021 – I-4 U 57/21, Juris, Rn. 92 f. m.V.a. BGH, Ur-teil vom 20.10.1988 – I ZR 238/87, GRUR 1991, 546, Rn. 26).

Das LG Kiel hat in einem Urteil vom 2. Juli 2021 hierzu folgendes entschieden:

Die Meinung der Beklagten, dass es allgemein bekannt sei, dass klimaneutral nicht mit emissionsfrei gleichzusetzen sei, ist zwar zutreffend. Gleichwohl lässt sich eine Klimaneutralität mit unterschiedlichen Mitteln erreichen. Daher ist es für die Entscheidung des Verbrauchers wesentlich, dass er beim Kauf unproblematisch Informationen darüber erhalten kann, auf welche Weise die Klimaneutralität erreicht werden soll. Nur so ist er gegebenenfalls in der Lage, zu entscheiden, ob er die ergriffenen Maßnahmen für unterstützenswert hält und ob sie überhaupt plausibel sind. Der bloße Hinweis auf die Unterstützung von Gold Standard zertifizierten Klimaschutzprojekten ist dafür nicht ausreichend. Erforderlich ist die Angabe der Webseite auf der Verpackung oder ein QR-Code mit dem die Webseite aufgerufen werden kann, die die entsprechenden Informationen enthält.“

(LG Kiel, Urteil vom 02. Juli 2021 – 14 HKO 99/20, Juris, Rn. 13 f.).

In einem Urteil des LG Konstanz vom 19. November 2021 – 7 O 6/21 KfH – vertrat dieses die Auffassung, dass bei der Werbung mit dem Begriff der Klimaneutralität Angaben darüber zu erfolgen haben, wie der Begriff zu verstehen sei. 

Es müsse darüber aufgeklärt werden, ob das werbende Unternehmen zumindest teilweise – durch eigene Energieeinsparungen im Betrieb oder durch Einsatz regenerativer Energien – zur Verringerung der CO2-Emissionen beiträgt oder ob es allein CO2-Zertifikate kauft, die Projekte in Schwellen- und Entwicklungsländern unterstützen, die CO2 verringern (LG Konstanz, Urteil vom 19.11.2021, Az. 7 O 6/21 KfH).

Unsicherheiten bei der Inhaltsbestimmung umweltrechtlicher Begriffe führen daher zu ei-nem gesteigerten Aufklärungsbedürfnis für denjenigen, der sich dieser Begriffe bedient.

Im Urteil des OLG Koblenz vom 10. August 2011 tritt das Gericht zwar der Auffassung der damaligen Beklagten, dass der Begriff „CO2-neutral“ Verbraucherinnen und Verbrauchern bekannt sei, nicht explizit entgegen, weist aber gleichzeitig auf den strengen Rechtsprechungsmaßstab hin. Das Gericht erklärt insofern:

Die Beklagte wirbt nicht mit der relativierenden Angabe "weitgehend CO2-neutral". Der Verbraucher erwartet deshalb einen vollständigen Ausgleich der CO2-Belastungen“ (OLG Koblenz, Urteil vom 10. August 2011 – 9 U 163/11, Juris, Rn. 33). 

Übertragen auf den hiesigen Fall bedeutet dies, dass Verbraucherinnen und Verbraucher davon ausgehen, dass ein vollständiger Ausgleich der CO2-Belastungen durch die Beklagte erfolgt sei. Wie im Weiteren ausgeführt wird, ist dies bei den Produkten bzw. bei dem versprochenen CO2-neutralen Autofahren aber gerade nicht der Fall.

Dem zuvor aufgezeigten strengen Maßstab, der von der Rechtsprechung im Bereich der Werbung mit Umweltbegriffen aufgestellt wurde, wird sie hierdurch nicht gerecht, denn Verbraucherinnen und Verbrauchern ist es so nicht möglich, im Rahmen ihrer Kaufentscheidung unproblematisch Informationen darüber zu erlangen, auf welche Weise die Klimaneutralisation erreicht werden soll (LG Kiel, Urteil vom 02. Juli 2021 – 14 HKO 99/20, Juris, Rn. 13 f).

Shell:

Der bloße Hinweis auf Produktverpackungungen oder auf Produktwerbeseiten auf Internetauftritten von Unternehmen, dass die von diesem Produkt im Lebenszyklus verursachten CO2-Emissionen durch freiwillige Klimakompensationen ausgeglichen würden, reicht nach Ansicht der DUH nicht aus, um dem durch die Rechtsprechung aufgestellten strengen Maß-stab zu genügen.

Häufig wird nicht aufgeklärt, ob ein Unternehmen zumindest teilweise durch eigene Energieeinsparungen etwa in seinen Betriebsabläufen zur Kompensation der CO2-Emissionen des Motorenöls beiträgt. Es werden zumeist keine konkreten Angaben dazu gemacht, wie die versprochene Kompensation erfolgt. Welche Art von Klimaschutzprojekten werden genutzt? Sind es Aufforstungsprojekte und, wenn ja, wie wird sichergestellt, dass die Bäume das erforderliche Alter erreichen, um das nötige CO2 zu binden? Oder sind es Waldschutzprojekte, bei denen Wald geschützt werden soll und warum ist man sich sicher, dass der Wald ohne das Geld aus dem Kompensationsprojekt ansonsten gerodet werden würde? 

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