Verbandsklagen auf Kompensation – Fortschritt bei der Rechtsdurchsetzung am Horizont?
In Deutschland ist am 1. November 2018 die Musterfeststellungsklage in Kraft getreten. Gewisse klagebefugte Verbände können stellvertretend für eine Gruppe von Betroffenen gegen Rechtsverstöße von Unternehmen vorgehen. Nach der Feststellung einer Rechtswidrigkeit muss jedoch der oder die Verbraucherin anschließend einzeln den Rechtsweg beschreiten, um seine oder ihre konkreten Ansprüche geltend zu machen. Die Musterfeststellungsklage ist nämlich anders als der Richtlinien-Entwurf nicht auf Leistung gerichtet.
Inwieweit hat der europäische Richtlinien-Entwurf Auswirkungen auf die deutsche Musterfeststellungsklage? Und was bedeutet er konkret für die Verbraucher*innen? Dies besprechen wir mit der Rechtswissenschaftlerin Prof. Dr. Susanne Augenhofer, die als Professorin für Deutsches und Europäisches Zivil- und Wirtschaftsrecht an der Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erfurt lehrt.
In unserer EU-Kampagne „Get Real: Für ehrliche Spritangaben“ setzen wir uns dafür ein, die Verbraucherrechte bei festgestelltem Mehrverbrauch zu stärken. Die Herstellerangaben weichen inzwischen um 42 Prozent von den realen Verbrauchswerten eines Fahrzeugs ab. Inwieweit kann die Musterfeststellungsklage hier Abhilfe schaffen?
Eine Musterfeststellungsklage könnte darauf gerichtet werden, die Abweichung der realen Verbrauchswerte von den Herstellerangaben festzustellen. Neben dieser Tatsachenfeststellung könnte in der Musterfeststellungsklage auch festgestellt werden, dass ein solches Vorgehen eine irreführende Werbung oder einen Sachmangel darstellt. Durch die Musterfeststellungsklage an sich kommt es jedoch nicht unmittelbar zu einer Abhilfe für den oder die betroffene Verbraucherin. Will man z. B. seine Gewährleistungsansprüche geltend machen, muss man danach individuell gegen das Unternehmen vor Gericht ziehen.
Welcher Verband könnte eine Musterfeststellungsklage gegen Spritmehrverbrauch initiieren und wie schätzen Sie die Chancen einer solchen Klage ein?
Eine Feststellung im Rahmen einer Musterfeststellungsklage kann nur von den sogenannten „qualifizierten Einheiten“ im Sinne des § 606 Absatz 1 der Zivilprozessordnung begehrt werden. Diese müssen die von § 606 Absatz 1 Zivilprozessordnung genannten Voraussetzungen erfüllen. Das bedeutet, sie müssen u. a. eine Mindestanzahl von 350 Mitgliedern oder zehn Mitgliedsverbänden aufweisen und dürfen nicht mehr als fünf Prozent ihrer finanziellen Mittel durch Zuwendungen von Unternehmen erhalten. Daneben sind Verbraucherzentralen und andere Verbraucherverbände, die überwiegend mit öffentlichen Mitteln finanziert werden, gemäß der in Satz 4 zitierten Gesetzstelle normierten Vermutung immer aktiv legitimiert, also befugt, eine Musterfeststellungsklage zu erheben. Hierunter fallen insbesondere die 16 in Deutschland bestehenden Verbraucherzentralen sowie der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv).
Frau Augenhofer, Sie beschäftigen sich auch mit dem europäischen Verbraucherrecht. Das Europäische Parlament hat gerade über den „New Deal for Consumers“ abgestimmt. Worum handelt es sich dabei genau?
Es handelt sich beim „New Deal for Consumers“ um zwei Richtlinien-Entwürfe. Beim ersten handelt es sich um den Entwurf für die sogenannte Omnibus-Richtlinie. Durch die geplante Omnibus-Richtlinie sollen vier bereits bestehende Richtlinien modernisiert werden. Von besonderer Bedeutung ist hierbei die Einführung eines Individualanspruchs der Verbraucher*innen bei Verstoß gegen die Richtlinie gegen unlautere (d. h. nicht legitimen, Nachtrag der Redaktion) Geschäftspraktiken sowie die Einführung konkreter Sanktionen bei Verstoß gegen die erfassten Richtlinien.
Der zweite Entwurf sieht die Einführung einer neuen Verbandsklage vor. Auch nach diesem Vorschlag sind nur bestimmte qualifizierte Einrichtungen klagebefugt, nicht Verbraucher*innen als Gruppe, wie etwa bei der class action in den USA. Aber anders als nach der bereits bestehenden Unterlassungsklagen-Richtlinie wäre es nach dem Entwurf möglich, dass die qualifizierten Einrichtungen wie Verbraucherverbände auf Kompensation klagen und nicht nur auf Unterlassung, wenn eine der im Anhang I genannten Rechtsvorschriften von Unternehmer*innen verletzt wurde.
Was bedeutet der „New Deal“ in seiner aktuellen Fassung für die deutsche Musterfeststellungsklage?
Sollte die Verbandsklagen-Richtlinie verabschiedet werden, müsste Deutschland diese Richtlinien innerhalb der Umsetzungsfrist umsetzen und dementsprechend auch die Musterfeststellungsklage an die Vorgaben der Richtlinie anpassen oder parallel zur Musterfeststellungsklage eine neue Klageform schaffen, die deutlich über die Musterfeststellungsklage hinausgehen würde. Mit der Verabschiedung der Richtlinie ist jedoch wohl nicht mehr vor den Wahlen zum Europaparlament zu rechnen. Ob es danach dazu kommen wird, ist zweifelhaft.
Wäre es auf Grundlage des „New Deals“ möglich, gegen einen zu hohen Spritverbrauch rechtlich vorzugehen?
Grundsätzlich ja. Voraussetzung dafür ist, dass die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken und / oder die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie in der endgültigen Fassung der Verbandsklage-Richtlinie im Anhang I genannt wird. Interessant ist hier auch die in der Omnibus-Richtlinie geplante Einführung eines Individualrechts bei einem Verstoß gegen die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken: Verbraucher*innen wären danach bei einem zu hohen Spritverbrauch im Vergleich zu den Angaben des Herstellers auch nach dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb – anders als nach derzeit geltendem Recht – klagebefugt. Diese Richtlinie hat zudem deutlich bessere Chancen, noch vor den Europawahlen verabschiedet zu werden.
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Anna Breitkreuz, Projektmanagerin Verkehr und Luftreinhaltung bei der DUH.
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